OLG Köln: Zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen fehlerhafter Cortison-Injektion

Das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro war angemessen, aber auch ausreichend, um die von dem Kläger behandlungsfehlerbedingt erlittenen immateriellen Schäden auszugleichen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist vom Landgericht u. a. auch berücksichtigt worden, dass das rechte Knie des Klägers vor der umstrittenen Injektion bereits vorgeschädigt war.

 

 

OLG Köln
Beschluss v. 20.04.2012 – 5 U 215/11

 

 

Tenor

 

I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 14. September 2011 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen (11 O 496/09) durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

 

II.
Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

 

 

Gründe

 

I.
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 529, 531 ZPO) eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

 

Das Landgericht hat den Beklagten vielmehr zu Recht wegen ärztlichen Behandlungsfehlers zur Zahlung von 13.686,32 Euro zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz jeden weiteren materiellen Schadens festgestellt, der auf die am 17. Mai 2005 erfolgte Cortison-Injektion zurückzuführen ist. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht, wird hier zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nicht und bietet Veranlassung lediglich für folgende ergänzenden Anmerkungen:

 

1.
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Ansprüche des Klägers nicht verjährt sind.

 

a)
Denn Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners hatte der Kläger erst mit dem Erhalt des Gutachtens des Sachverständigen Dr. O vom 10. April 2008 in dem selbständigen Beweisverfahren des hiesigen Klägers gegen die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul als Trägerin des St. BHospitals zu Aktenzeichen 11 OH 15/07 LG Aachen [Bl. 53 – 63 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen; dem Prozessbevollmächtigten des hiesigen Klägers und dortigen Antragstellers zugestellt am 30. April 2008, Bl. 111 d. Beiakte] erlangt. Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB setzt bei Schadensersatzansprüchen wegen ärztlicher Behandlungsfehler voraus, dass der betroffene Patient Kenntnis von solchen Tatsachen erlangt hat, aus denen sich für einen medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren [vgl. hierzu etwa BGH, NJW 2001, 855, Juris-Rn. 11 m. v. w. N. – st. Rspr. -, zu dem damals maßgeblich gewesenen § 852 Abs. BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 in Kraft gewesenen Fassung, dem – soweit hier von Relevanz – die Regelung in § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung im wesentlichen Kern entspricht]. Kenntnis in diesem Sinne hatte der Kläger vor Erhalt des Gutachtens vom 10. April 2008 nicht. Denn der Kläger hatte Kenntnis weder von dem Umstand, dass der Beklagte in Bezug auf die Hygiene und die Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die Infektionsgefahr bei Injektionen der hier in Rede stehenden Art gegen den insoweit maßgeblichen medizinischen Standard verstoßen hat, noch davon, dass dieser Behandlungsfehler für die bei ihm aufgetretene Infektion und die damit in Zusammenhang stehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ursächlich geworden sein könnte:

 

b)
aa)
Der Kläger hatte ausweislich seiner Bekundungen anlässlich seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht am 10. August 2011 vielmehr lediglich bei der umstrittenen Behandlung am 17. Mai 2005 wahrgenommen, dass der Beklagte trotz einer Pilzinfektion unter den Fingernägeln, von der ihm der Beklagte berichtet hatte, keine Handschuhe getragen und nach der Desinfektion des Knies das Knie erst noch einmal abgetastet hat, und sich dabei gedacht, dass es schon komisch sei, dass der Beklagte nach der Desinfektion des Knies noch einmal über das Knie gestrichen hat, weil man dann ja eigentlich das Knie erst gar nicht desinfizieren müsste. Ausweislich dieser Bekundungen hatte der Kläger somit lediglich einen laienhaften Eindruck von der Vorgehensweise des Beklagten. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger darüber hinaus Kenntnis davon hatte, welche Maßnahmen zur Gewährleistung einer ausreichenden Hygiene und zum Zwecke des Herabsetzens des Infektionsrisikos dem ärztlichen Standard entsprochen hätten und zur Vermeidung von Komplikationen erforderlich gewesen wären, ergeben sich demgegenüber aus diesen Bekundungen und auch aus dem Akteninhalt im Übrigen nicht. Dem Kläger kann auch nicht vorgehalten werden, dass er sich grob fahrlässig einer entsprechenden Kenntnis verschlossen hätte. Denn der Kläger als medizinischer Laie muss den ärztlichen Standard insoweit nicht kennen. Und er hatte auch keine Veranlassung, sich um Kenntnisse insoweit zu bemühen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es wegen des zeitlichen Zusammenhanges zwischen der umstrittenen Behandlung beim Beklagten am 17. Mai 2005, der weiteren Behandlung im Krankenhaus am 3. Juni 2005 und dem Auftreten der Infektionssymptome am 6. Juni 2005 für den Kläger ausweislich seiner Bekundungen anlässlich seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht am 10. August 2011 aus seiner laienhaften Sicht nahe gelegen hatte anzunehmen, dass der Fehler auf Seiten des Krankenhauses zu suchen war. Und in dieser Annahme ist er durch den Beklagten bestärkt worden, der ihm erläutert hatte, dass die Infektion wegen der zeitlichen Zusammenhänge ausschließlich durch die Krankenhausbehandlung und nicht durch die umstrittene Injektion vom 17. Mai 2005 verursacht worden sein könne, weil sie anderenfalls ca. drei Tage nach der umstrittenen Injektion mit heftigen Symptomen hätte ausbrechen müssen. Im Hinblick darauf hatte der Kläger bis zum Erhalt des Gutachtens vom 10. April 2008 keine Veranlassung anzunehmen, dass das von ihm als „komisch“ empfundene Vorgehen des Beklagten für die Infektion ursächlich geworden sein könnte, und damit zugleich keine Veranlassung, sich näher mit der Frage nach dem medizinischen Standard zur Gewährleistung einer ausreichenden Hygiene und zum Zwecke des Herabsetzens des Infektionsrisikos zu befassen.

 

bb)
Aus den vorstehenden Gründen fehlte dem Kläger auch die erforderliche Kenntnis von der Kausalität. Und auch in diesem Zusammenhang kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er sich grob fahrlässig der erforderlichen Kenntnis insoweit verschlossen habe. Denn es kann dem Kläger als medizinischen Laien nicht vorgeworfen werden, dass er im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Krankenhausbehandlung und dem Auftreten von Infektionssymptomen auf eine Verursachung durch die Krankenhausbehandlung geschlossen hat, und dass die Erläuterungen des Beklagten hierzu ihm eingeleuchtet und ihn in seiner Vermutung zur Kausalität bestärkt haben. Der Kläger als medizinischer Laie musste – anders als der Beklagte als Fachmann – nicht wissen, dass die am 17. Mai 2005 erfolgte Kortisongabe Infektionssymptome unterdrücken oder überlagern und damit dazu führen kann, dass eine Infektion erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung bemerkt wird.

 

2.
Die Höhe des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldes ist – jedenfalls im Ergebnis – nicht zu beanstanden.

 

a)
Bei dieser Beurteilung folgt der Senat zum einen den Gutachten des erstinstanzlich beauftragten Gerichtssachverständigen Dr. Dirk O. in dem vorliegenden Verfahren sowie in dem selbständigen Beweisverfahren des hiesigen Klägers gegen die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul als Trägerin des St. B-Hospitals zu Aktenzeichen 11 OH 15/07 LG Aachen [Gutachten in dem vorliegenden Verfahren vom 12. Februar 2011 (Bl. 97 – 103 i. V. m. 104 – 107 d. A.) nebst mündlicher Erläuterungen vom 10. August 2011 (S. 4 – 6 des Protokolls der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 10. August 2011 (Bl. 132 ff., 135 – 137 d. A.) sowie Gutachten in dem selbständigen Beweisverfahren des hiesigen Klägers gegen die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul als Trägerin des St. B-Hospitals zu Aktenzeichen 11 OH 15/07 LG Aachen vom 10. April 2008 (Bl. 53 – 63 der Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen) nebst schriftlicher Ergänzungen vom 13. August 2008 (Bl. 127 – 130 d. A.) und vom 10. Oktober 2008 (Bl. 146/147 = 144/145 d. A.)], die den Senat insbesondere deshalb überzeugen, weil es auf der Basis einer sorgfältigen Auswertung Krankenunterlagen und des Akteninhalts sowie unter eingehender Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Parteien umfassend, in sich schlüssig und gut nachvollziehbar begründet worden ist.

 

Zum anderen lässt der Senat sich bei dieser Beurteilung von seiner Erfahrung als Spezialsenat für Arzthaftungssachen mit der Bemessung von Schmerzensgeld bei der Inanspruchnahme von Ärzten wegen ärztlicher Behandlungsfehler sowie auch von Präjudizien anderer Gerichte zu Fällen leiten, die Anhaltspunkte für die Bewertung des hier vorliegenden Streitfalles bieten, und insoweit etwa von den Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 29. August 2003 [8 U 190/01, NJW-RR 2003, 87, Juris-Rn. 36 ff.], und des OLG Stuttgart vom 29. Juli 1997 [14 U 20/96, VersR 1998, 1550, Juris-Rn. 49 f.].

 

Danach ist das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld von 12.000 Euro angemessen, aber auch ausreichend, um die von dem Kläger behandlungsfehlerbedingt erlittenen immateriellen Schäden auszugleichen:

 

b)
aa)
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht zu Recht – und von dem Beklagten vorbehaltlich seines Vorbringens zu den Vorschäden [näher hierzu unten zu bb)] nicht beanstandet – insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger eine Infektion im Bereich seines rechten Kniegelenkes durchlitten hat, deswegen diverse Eingriffe am Knie vornehmen lassen musste – etwa wiederholte Gelenkspülungen und eine sog. Gelenktoilette – und sich in durchgehender physiotherapeutischer Behandlung befindet, dass am rechten Knie des Klägers eine Knorpelzerstörung vorliegt, dass die Funktion des Kniegelenkes des Klägers erheblich eingeschränkt ist und dass dies zu einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 % und zu erheblichen Einschränkungen in seiner Lebensgestaltung und insoweit insbesondere im Bereich der sportlichen Betätigungen sowie zu psychischen Beschwerden geführt hat, und dass der Zustand des rechten Knies des Klägers nach den überzeugend begründeten Feststellungen des Sachverständigen Dr. O auf mittlere Sicht den Einsatz einer Knieprothese erfordere. Ferner können auch die beständigen Schmerzen, unter denen der Kläger leidet, bei der Schmerzensgeldbemessung nicht außer Acht bleiben.

 

bb)
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist aber – worauf der Beklagte zu Recht hinweist – auch zu berücksichtigen, dass das rechte Knie des Klägers vor der umstrittenen Injektion bereits vorgeschädigt war.

 

Hierzu hat der Sachverständige Dr. O mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass an dem rechten Knie des Klägers bereits vor seinem Sportunfall am 15. Juni 2005 und damit zugleich vor der umstrittenen Injektion am 17. Mai 2005 eine Arthrose vorgelegen habe [vgl. hierzu etwa S. 9 des Gutachtens des Sachverständigen vom 10. April 2008, Bl. 53 ff., 61 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen], und dass die festgestellte Knorpelzerstörung nicht ausschließlich durch die Infektion bewirkt worden sei, sondern in gewissem, wenn auch schwer quantifizierbaren Umfang durch die vorbestehende Arthrose bereits angelegt gewesen sei [vgl. hierzu etwa S. 2/3 des schriftlichen Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen vom 13. August 2008, Bl. 127 ff., 128/129 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen i. V. m. S. 9 des Gutachtens des Sachverständigen vom 10. April 2008, Bl. 53 ff., 61 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen].

 

cc)
Die vom Sachverständigen festgestellte Vorschädigung des Knies führt indes entgegen der offenbar beim Beklagten bestehenden Vorstellung nicht dazu, dass das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld herabzusetzen wäre. Denn zum einen ist zu berücksichtigen, dass die vorbestehende Arthrose lediglich zu einer geringfügigen Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Knies und damit auch lediglich zu einer geringfügigen, wenn auch schwer quantifizierbaren Beeinträchtigung des Knorpels geführt hatte, und dass die Infektion die nunmehr festgestellte Knorpelzerstörung erheblich verstärkt und beschleunigt hat [vgl. hierzu etwa S. 9 des Gutachtens des Sachverständigen vom 10. April 2008, Bl. 53 ff., 61 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen sowie S. 2/3 des schriftlichen Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen vom 13. August 2008, Bl. 127 ff., 128/129 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen i. V. m. S. 9 des Gutachtens des Sachverständigen vom 10. April 2008, Bl. 53 ff., 61 d. Beiakte 11 OH 15/07 LG Aachen]. Zum anderen ist die Bewertung des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldbetrages als im Ergebnis angemessen nur gerechtfertigt, wenn die Vorschäden am rechten Knie des Klägers mit berücksichtigt werden. Denn ohne Berücksichtigung der Vorschäden wäre das Schmerzensgeld angesichts der Gravität der Beeinträchtigungen des Klägers mit 12.000 Euro deutlich zu niedrig bemessen [vgl. hierzu etwa die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 4. Juni 2002 (14 U 86/01, VersR 2003, 253, Juris-Rn. 26), das in einem Streitfall mit vergleichbaren Beeinträchtigungen des betroffenen Patienten für eine Zeit von lediglich vier Jahren und ohne berücksichtigungsfähige Dauerschäden bereits 8.000 Euro zuerkannt hat].

 

II.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung [§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO]; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung [§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO]; eine mündliche Verhandlung ist auch aus sonstigen Gründen nicht geboten [§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO]

 

 

Quelle: Entscheidungsdatenbank NRW