Wer muss den Behandlungsfehler beweisen?

Im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess obliegt dem Patienten prinzipiell die Beweislast. Er muss demnach kausal beweisen („einen Zusammenhang herstellen“), dass ein Fehlverhalten des Arztes vorliegt und dass dieses Fehlverhalten schadensursächlich gewirkt hat.

Aufgrund besonderer Umstände kann sich die Beweislast für den Patienten allerdings erleichtern oder gar umkehren, so dass nunmehr die beklagte Partei (also der Arzt und/oder der Krankenhausträger) beweisen muss, dass der verursachte Schaden kausal nicht auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist bzw. dass der Schaden auch trotz des Behandlungsfehlers aufgetreten wäre.

Bei den Beweiserleichterungen, die dem Patienten gewährt werden, wird grundlegend zwischen Beweiserleichterungen hinsichtlich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und Beweiserleichterungen hinsichtlich des Kausalitätsnachweises unterschieden.

Behandlungsfehler, die zu Beweiserleichterungen hinsichtlich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers führen können, sind die Dokumentationspflichtverletzung und das voll beherrschbare Risiko. Es wird das Vorliegen eines Behandlungsfehlers angenommen, wenn ein Dokumentationsmangel vorliegt oder der Eintritt eines voll beherrschbaren Risikos nachweisbar ist. Der Arzt bzw. der Krankenhausträger muss nachweisen, dass diese Pflichtverletzungen kein ärztliches Fehlverhalten darstellen.

Behandlungsfehler, die zu Beweiserleichterungen hinsichtlich des Kausalitätsnachweises führen können, sind der grobe Behandlungsfehler, der fundamentale Diagnosefehler, der Befunderhebungsmangel, das Übernahmeverschulden und das Auswahl- und Überwachungsverschuldens beim Arztanfänger. Liegt einer dieser Behandlungsfehler vor, muss der Arzt bzw. der Krankenhausträger nachweisen, dass der Behandlungsfehler nicht schadensursächlich ist.

Dokumentationspflichtverletzung

Der Patient hat zwar gegenüber dem Arzt, der die Dokumentationspflicht verletzt hat, nicht allein auf der Grundlage dieser Pflichtverletzung einen Anspruch auf Schmerzensgeld, es kann für den Patienten jedoch zu Beweiserleichterungen kommen. Denn grundsätzlich geht das Gericht davon aus, dass nur solche (dokumentationspflichtigen) Behandlungsschritte oder Therapiemaßnahmen stattgefunden haben, die auch in der Patientenakte aufgeschrieben wurden. Der Arzt muss demnach beweisen, dass die Maßnahmen durchgeführt wurden.

Voll beherrschbares Risiko

Die Haftung des Arztes ist zwar auf der Grundlage des Heilerfolges ausgeschlossen und der Patient hat das Risiko seiner Erkrankung selbst zu tragen (dazu mehr in dem Kapitel „Wann spricht man von einem Behandlungsfehler?“), von diesem Krankheitsrisiko sind jedoch jene Risiken zu unterscheiden, die von dem Arzt bzw. dem Krankenhausträger (und den dortigen Angestellten) voll beherrscht werden können. Zu dem Bereich der voll beherrschbaren Risiken gehören u. a.

 

  • die Funktionstüchtigkeit der verwendeten medizinischen Geräte und Materialien (wie z. B. der ordnungsgemäße Zustand des zu verwendenden Tubus oder des einzusetzenden Röntgengerätes, die Sterilität des zu benutzenden Desinfektionsmittels),
  • die richtige Handhabung der verwendeten medizinischen Geräte und Materialien (wie z. B. die richtige Positionierung des Tubus, die Auswahl der richtigen Röntgenstrahlendosis, das Überprüfen, ob auch kein Tupfer oder ein Kirschnerdraht im Körper des Patienten zurückgelassen wurde, die Verwendung unsteriler Injektions- und Infusionsflüssigkeiten),
  • die Vermeidung von Stürzen oder Verletzungen des Patienten bei Bewegungs-, Transport- oder Pflegemaßnahmen (wie z. B. Sicherungsmaßnahmen am Bett von sturzgefährdeten Patienten) sowie
  • die richtige Lagerung des Patienten (z. B. während einer Operation).

Bei einem Fehlverhalten des Arztes bzw. des Krankenhausträgers im Bereich des voll beherrschbaren Risikos handelt es sich meist um ein Organisationsverschulden.

Grober Behandlungsfehler

Wenn der Arzt aus objektiver Sicht gegen grundlegende medizinische Erkenntnisse oder gegen elementare medizinische Standards der Behandlung verstoßen hat, wird sein ärztliches Fehlverhalten als grober Behandlungsfehler eingestuft. Für den Fall, dass der Patient nachweisen kann, dass das Fehlverhalten des Arztes grob behandlungsfehlerhaft war, kehrt sich die Beweislast hinsichtlich des von dem Patienten zu führenden Nachweis der Kausalität um. D. h. der Arzt muss nunmehr beweisen, dass der bei dem Patienten eingetretene Schaden auch dann aufgetreten wäre, wenn er die Behandlung gemäß Facharztstandard durchgeführt hätte.
Ob der Arzt einen groben Behandlungsfehler begangen hat, wird vom Gericht anhand des medizinischen Gutachtens, das der gerichtlich bestellte Sachverständige erstellt hat, beurteilt.

Fundamentaler Diagnosefehler

Wie der grobe Behandlungsfehler führt auch der fundamentale Diagnosefehler hinsichtlich des Kausalitätsnachweises zu Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten. Ein Diagnosefehler wird nur dann als fundamentales Fehlverhalten eingestuft, wenn der Arzt derart massiv gegen medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat, dass sein (Fehl-)Verhalten aus objektiver Sicht nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Wie bei dem groben Behandlungsfehler muss der Patient erst das Vorliegen eines fundamentalen Diagnoseirrtums nachweisen, bevor sich die Beweislast zu seinen Gunsten umkehrt.

Befunderhebungsmangel

Im Bereich des Befunderhebungsmangels haben sich in der Rechtsprechung sehr komplexe Beweislastregeln herausgebildet. Je nachdem, ob der Befunderhebungsmangel als einfacher oder grober Behandlungsfehler eingestuft wird, kann sowohl der Patient als auch der Arzt die Beweislast tragen. Kann der Patient nachweisen, dass es sich um einen groben Befunderhebungsmangel handelt, wird die für den groben Behandlungsfehler gültige Beweislast angewandt. Dagegen sind die Beweislastregeln im Bereich des einfachen Befunderhebungsmangels u. a. davon abhängig, mit welcher Wahrscheinlichkeit die unterlassene Diagnosemaßnahme zu einem behandlungsbedürftigen Befund geführt hätte. Zusammenfassend ist die Haftung des Arztes bei einem einfachen Befunderhebungsmangel an folgende Voraussetzungen geknüpft:

 

  • Der Arzt hat eine gebotene diagnostische Maßnahme behandlungsfehlerhaft unterlassen,
  • der nicht erhobene Befund hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (mindestens 50 %) ein behandlungsbedürftiges Ergebnis erbracht und
  • das Unterlassen der nach diesem Befund notwendigen Therapie stellt einen groben Behandlungsfehler dar.

Übernahmeverschulden

Im Bereich des Übernahmeverschuldens obliegt dem Patienten die Beweislast dafür, dass sich der Arzt eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat. Kann der Patient nachweisen, dass der Arzt eine Behandlung trotz mangelnder Fachkenntnisse oder fehlender bzw. nur unzureichend geeigneter Räume, Personal oder Gerätschaften durchgeführt hat, wird vermutet, dass ein Übernahmeverschulden vorliegt und der Gesundheitsschaden des Patienten aufgrund der mangelnden Befähigung bzw. Ausstattung des Arztes zustande kam. Der Arzt muss nunmehr beweisen, dass der Patient nicht aufgrund seiner mangelnden Befähigung geschädigt wurde.

Auswahl- oder Überwachungsverschulden beim Arztanfänger

Auswahl- oder Überwachungsverschulden beim Arztanfänger
Ein Behandlungsfehler als Schadensursache kann nicht allein dadurch begründet werden, dass ein Arztanfänger die Behandlung durchgeführt hat. Denn für den Arztanfänger gelten die gleichen Sorgfaltspflichten wie für erfahrenere Ärzte. Der Arzt im Allgemeinen muss für die Behandlung, die er durchführt, ausreichend qualifiziert und ausgebildet sein. Der Arztanfänger selbst sowie der Krankenhausträger bzw. der dem Arztanfänger gegenüber weisungsberechtigte (Ober-)Arzt haben vor der Behandlung zu prüfen, ob der Arztanfänger auf die Behandlungsmaßnahme hinreichend vorbereitet ist, ob er angesichts seines Ausbildungsstandes dafür geeignet ist und ob er bei der Durchführung der Behandlungsmaßnahme unter hinreichender Beaufsichtigung durch einen erfahreneren (Fach-)Arzt steht.
Im vorliegenden Bereich ist die Beweislast ebenso verteilt wie im Bereich des Übernahmeverschuldens. Der Patient muss zunächst das Vorhandensein eines Behandlungsfehlers (in diesem Bereich ist es meist ein Organisationsverschulden) sowie einen Gesundheitsschaden nachweisen, damit die Beweislast hinsichtlich des Nachweises der Kausalität umgekehrt wird.

Beweislast bei Aufklärungsmängeln

Im Bereich fehlender oder fehlerhaft durchgeführter Aufklärung muss der Arzt den Nachweis führen, dass der Patient von ihm ordnungsgemäß und vollständig aufgeklärt wurde, die Aufklärung rechtzeitig stattfand und der Patient aufgrund der vorgenommenen, vollständigen Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hat. Der Arzt muss also nachweisen, dass es überhaupt ein Aufklärungsgespräch gab und über was er mit dem Patienten gesprochen hat bzw. über welche Risiken er den Patienten aufgeklärt hat. Hier kommen der Arztseite insofern Beweiserleichterungen zugute, als dass es ausreicht, wenn der Arzt darlegt, über welche Behandlungsrisiken etc. er grundsätzlich in Aufklärungsgesprächen mit seinen Patienten spricht. Behauptet der Arzt – im Fall einer nachweislich fehlerhaften Aufklärung -, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem ärztlichen Eingriff zugestimmt hätte, trägt er für diese Behauptung ebenfalls die Beweislast. Die Beweislast kann sich zugunsten des Arztes auch umkehren,

 

  • wenn der Patient behauptet, dass der aufklärende Arzt nicht über ausreichende Erfahrung verfügt habe, oder
  • wenn der Patient behauptet, dass er eine zuvor erteilte Einwilligung vor dem Eingriff widerrufen habe.

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