OLG Hamm: Unzureichende Risikoaufklärung vor Arthrodese rechtfertigt 6.000,00 € Schmerzensgeld

Klärt ein Arzt seinen Patienten nicht ausreichend darüber auf, dass nach einer Versteifungsoperation des Sprunggelenks (Arthrodese) eine Pseudoarthrose auftreten kann, und verwirklicht sich das Behandlungsrisiko bei dem Patienten, kann ein Schmerzensgeld i. H. v. 6.000,00 € angemessen sein.

 

 

OLG Hamm
Urteil v. 08.07.2016 – 26 U 203/15

 

 

Tenor

 

Auf die Berufung des Klägers wird das am 20. Oktober 2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert.

 

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,00 € zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materielle Schäden und, soweit nicht vorhersehbar, immaterielle Zukunftsschäden aus Anlass der Behandlung vom 15. Januar 2013 bis zum 28. Juni 2013 zu ersetzen, soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet.

 

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin. Die Streithelferin trägt ihre Kosten selbst.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

I.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen ( § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ).Ergänzend wird auf das Vorbringen der Parteien in den zweitinstanzlichen Schriftsätzen verwiesen.

 

Im Rahmen der Berufung ging es nur noch um die Frage einer ordnungsgemäßen Aufklärung im Hinblick auf die operativ durchgeführte Arthrodese. Das aufklärungspflichtige Risiko einer Pseudoarthrose beträgt bis zu 14 %. Der Senat hat sowohl den Kläger als auch den Gesellschafter N der Beklagten zu 1 persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08. Juli 2016 verwiesen. Einzelheiten ergeben sich aus den nachfolgenden Ausführungen.

 

II.
Die Berufung ist begründet.

 

Dem Kläger steht ein Schmerzensgeld im zugesprochenen Umfang sowie der geltend gemachte Feststellungsantrag gemäß §§ 280 Abs. 1, 630 d, e, 823, 31, 89, 249ff, 253 Abs. 2 BGB zu.

 

Die Aktivlegitimation der Beklagten ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung gegeben; denn auch für einen außenstehenden Dritten ergaben sich objektive Hinweise darauf, dass die Beklagte hier Vertragspartner war. So war die gesamte Vorbehandlung, insbesondere auch die Aufklärung, in der Praxis der Beklagten erfolgt, wobei auch der Operationsbericht auf dem Papier der Beklagten verfasst war. Aus diesem Papier ist auch zu entnehmen, dass die Beklagte selbst angibt, die stationären Operationen bei der Streithelferin durchzuführen. Diese Konstellation spricht für das Belegarztsystem, bei dem eine Haftung des Belegarztes für Behandlungs- und Aufklärungsmängel ohne Zweifel anzunehmen ist.

 

Der Senat geht nach erneuter Anhörung des Mitgesellschafters N – wie das Landgericht – auch davon aus, dass die durchgeführte Aufklärung defizitär war; denn es ist nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar, dass der Kläger über das erhöhte Risiko der Entwicklung einer Pseudoarthrose mit der Folge einer Schraubenlockerung informiert worden ist. Dies Risiko bestand nach Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. L in einem nicht unerheblichen Umfang von 14% und war in jedem Fall aufklärungspflichtig. Für die erfolgte Aufklärung ist die Beklagtenseite darlegungs- und beweispflichtig.

 

Aus dem vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogen ergibt sich kein Hinweis auf eine derartig erteilte Aufklärung, weil das Risiko gar nicht aufführt ist. Auch die Dokumentation, die für den 06. März 2013 eine Aufklärung (Schmerz, Schwellung, Gefäß- und Nervenläsionen, Entzündung, Rezidiv, Versteifung, Thrombose,Embolie) aufführt, reicht für den Nachweis eines entsprechenden Risikohinweises nicht aus; denn nach den eigenen Angaben des Gesellschafter N wird durch einen reinen Tastenklick seiner Mitarbeiterin nach erfolgter Aufklärung dieser im System vorhandene Baustein eingepflegt. Dabei kann bei einem so speziellen Risiko wie einer Pseudoarthrose auch keineswegs davon ausgegangen werden, dass der jeweils aufklärende Arzt von einer Mitarbeiterin notfalls darauf hingewiesen wird, dass er die Nennung eines Risikos vergessen hat, wie dies vom Gesellschafter N dargelegt wurde. Im Übrigen haben der Kläger und der Mitgesellschafter N die erfolgte Aufklärung ihrem Umfang nach unterschiedlich dargestellt. Der Senat kann letztlich nicht mit der entscheidenden Sicherheit sagen, ob das Risiko der Pseudoarthrose genannt wurde oder nicht.

 

Entgegen der Auffassung des Landgerichts geht der Senat nach erneuter Anhörung des Klägers auch nicht vom Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung aus. Insoweit hat der Kläger vielmehr einen Entscheidungskonflikt bei Kenntnis eines erhöhten Risikos plausibel dargelegt, wenn er erklärt hat, dass er in diesem Fall sich zumindest nochmals einen Rat im Bergmannsheil eingeholt hätte, da er bereits über eine Überweisung in diese Klinik verfügt habe. Diese Klinik war ihm nach der Verletzung des Sprunggelenks und daraus resultierender Probleme bereits als besonders erfahrene Klinik bekannt. Selbst wenn der Gesellschafter N auf ihn einen guten Eindruck gemacht hat, wollte er nach eigenen Angaben im Fall von besonderen Risiken eine zweite Meinung einholen. Der Gesellschafter N hat auch selbst eingeräumt, dass es sich vorliegend nicht um eine Bagatelloperation gehandelt hat, so dass die Heranziehung einer zweiten Meinung durchaus nachvollziehbar ist. Es kommt hinzu, dass der Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts keinerlei Zeitdruck hatte, weil er bereits im Februar 2013 davon ausging, dass sein Arbeitgeber ihn entlassen würde. Diese Befürchtung ergab sich bereits aus der Dokumentation für Februar 2013.

 

Ausgehend von einer Aufklärungspflichtverletzung ist bei dem Kläger am 18.04.2013 eine rechtswidrige operative Maßnahme vorgenommen worden, die mit Schmerzen und der aufgetretenen Risikoverwirklichung der Pseudoarthrose verbunden war. Vor diesem Hintergrund hält der Senat das beantragte Schmerzensgeld von 6.000 € für angemessen, aber auch ausreichend, um den Kläger entsprechend zu entschädigen.

 

Vor diesem Hintergrund ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

 

Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.