OLG Köln: Bei grob fehlerhafter Operation in nicht indiziertem Bereich sind 200.000 € Schmerzensgeld angemessen

Ein Operateur verletzt seine Sorgfaltspflichten in erheblichen Maße und begeht einen groben Behandlungsfehler, wenn er während der Operation zur Korrektur der Nasenscheidewand die Verletzung der Schädelbasis des Patienten verursacht, indem er in einem Bereich operiert, in dem er laut Sachverständigem nichts zu suchen hatte.

 

 

OLG Köln
Urteil v. 13.04.2016 – 5 U 107/15

 

 

Tenor

 

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.06.2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 25 O 149/12 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

 

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2012 zu zahlen.

 

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 27.140,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.458,08 EUR seit dem 03.11.2012 und aus einem Betrag von 25.682,14 EUR seit dem 13.02.2014 zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) dem Grunde nach verpflichtet ist, dem Kläger alle ihm entstandenen materiellen Schäden -ausschließlich des bereits geltend gemachten Erwerbsschadens in Höhe von 27.140,22 EUR für den Zeitraum vom 1.10.2011 bis zum 30.11.2013 – sowie alle zukünftigen, nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf die ärztliche Behandlung in der Zeit von 06.09.2011 bis zum 7.09.2011 zurückzuführen sind, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

 

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.518,95 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2012 freizustellen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die Berufung des Beklagten zu 2) wird zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden wie folgt verteilt: Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger und der Beklagte zu 2) je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt dieser selbst.

 

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 2).

 

Dieses Urteil und das mit der Berufung angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

I.
Der am 00.00.1969 geborene Kläger litt bereits seit Jahren an Nasenatmungsbehinderungen, chronischer Nasennebenhöhlenentzündung und einer beidseitigen Riechstörung, als er sich am 02.09.2011 in dem Krankenhaus der Beklagten zu 1) vorstellte. Der Beklagte zu 2), niedergelassener Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkunde, war dort als Belegarzt tätig. Er empfahl dem Kläger eine Begradigung der Nasenscheidenwand. Ob er darüber hinaus auch einen Eingriff im Bereich der Nasennebenhöhlen vorschlug, ist zwischen den Parteien streitig.

 

Die Operation wurde am 06.09.2011 durchgeführt. Laut Operationsbericht erfolgten eine Korrektur der Nasenscheidewandverbiegung, eine Behandlung der unteren Nasenmuscheln und eine Eingriff im Bereich der Nasennebenhöhlen. Nach der Operation wachte der Kläger zunächst nicht auf. Eine durchgeführte Computertomographie zeigte eine Einblutung im Gehirn. Der Kläger wurde daraufhin in die neurochirurgische Klinik des Universitätsklinikums C verbracht und dort am 14.09.2011 operiert. Die Operateure stellten eine Verletzung der Schädelbasis auf der rechten Seite im hinteren Abschnitt des Siebbeindaches auf einer Strecke von 1 cm mal 2 cm fest.

 

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe die Operation grob fehlerhaft durchgeführt. Desweiteren hat er die Aufklärungsrüge erhoben. Über eine Operation im Bereich der Nasennebenhöhlen sei er nicht aufgeklärt worden und er habe in einen solchen Eingriff auch zu keiner Zeit eingewilligt. Der Kläger hat behauptet, infolge der Operation habe er seinen Geruchssinn vollständig und den Geschmackssinn teilweise verloren. Er leide unter Konzentrationsstörungen, Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit und sei auf ständige Begleitung angewiesen. Er leide ferner unter ständiger Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Entschlussunfähigkeit und Anhedonie. Er sitze im Wesentlichen zu Hause im Sessel und tue nichts. Aufgrund seiner kognitiven Defizite habe er kein Interesse mehr am Lesen und Fernsehen. Er sei emotional verflacht bis nivelliert. Er leide unter extremer Interesselosigkeit und Libidoverlust. Er sei häufiger gereizt. Sein Wesen habe sich vollständig verändert. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die eingetretenen Schäden ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 130.000,- EUR rechtfertigten.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens 130.000 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

 

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, alle ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf die ärztliche Behandlung in der Zeit von 06.09.2011 bis zum 7.09.2011 zurückzuführen sind, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden;

 

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 27.140,22 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

 

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 3.518,95 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

 

Die Beklagten haben beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte zu 1) hat geltend gemacht, sie sei als Belegkrankenhaus nicht passivlegitimiert. Der Beklagte zu 2) hat Behandlungsfehler bestritten. Er hat eine umfassende und ausreichende Aufklärung behauptet und sich hilfsweise auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen.

 

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 305 ff d.A.) Bezug genommen.

 

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. M (Gutachten vom 14.10.2013, Bl. 95 ff d.A.) und eines neurologischen Gutachtens von Prof. Dr. I (schriftliches Gutachten vom 18.08.2014, einschließlich neuropsychologischer Zusatzbegutachtung durch Psychologin I2, Bl. 224 ff d.A.). In der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2015 sind Prof. Dr. M und Prof. Dr. I ergänzend angehört worden. Daraufhin hat das Landgericht den Beklagten zu 2) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 75.000,- EUR, zu materiellem Schadensersatz in Höhe von 27.140,22 EUR und zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.518,95 EUR, jeweils nebst Zinsen, verurteilt und die Pflicht des Beklagten zu 2) zur Erstattung aller sonstigen materiellen und zukünftigen immateriellen Schäden festgestellt. Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dem Beklagten zu 2) falle ein grober Behandlungsfehler zur Last, weil er die Schädelbasis des Klägers in einem Bereich verletzt habe, indem er nach Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M nichts zu suchen gehabt habe. Zurückzuführen seien auf diesen Behandlungsfehler eine irreversible Riechstörung, eine unterdurchschnittliche Leistung im Bereich der allgemeinen Reaktionsfähigkeit, eine Einschränkungen der Daueraufmerksamkeitsleistung, sowie Orientierungsschwierigkeiten und eine hirnorganische Wesensveränderung. Soweit beim Kläger bereits vor der Operation ein Zustand nach „Débridement“, d.h. eine chirurgische Entfernung von abgestorbenem oder nicht mehr funktionsfähigem Muskelgewebe im Bereich des rechten Oberarmes vorgelegen habe, überlagerten die Operationsfolgen alles, was an Beeinträchtigungen durch das Débridement bestanden habe. Im Hinblick auf die erheblichen Dauerschäden, die der Kläger infolge der Operation erlitten habe, sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000,- EUR gerechtfertigt. Darüber hinaus stehe dem Kläger Ersatz seines Verdienstausfallschadens in geltend gemachter Höhe zu. Der Feststellungsantrag sei begründet. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes sei zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung erforderlich und der Ansatz einer 2,3 Geschäftsgebühr angemessen. Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage sei hingegen unbegründet. Die Beklagte zu 1) hafte nicht, denn sie müsse sich als Belegkrankenhaus Fehler des Belegarztes nicht zurechnen lassen. Soweit die Beklagte zu 1) Leistungen im Bereich der Anästhesie erbracht habe, seien Versäumnisse des Anästhesisten weder vorgetragen noch bewiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

 

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 2) Berufung eingelegt.

 

Mit der ausschließlich gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Berufung beantragt der Kläger eine Verurteilung des Beklagten zu einem höheren Schmerzensgeld als durch das Landgericht zuerkannt. Er macht geltend, die durch das Gutachten bewiesenen Beeinträchtigungen hätten Auswirkungen, wie man es sich kaum schlimmer vorstellen könne. Er sei psychomototisch verlangsamt, was bedeute, dass er auf äußere Reize wie beispielsweise Geräusche verspätet bis gar nicht reagiere. Er leide unter ganz erheblichen kognitiven Defiziten. Er könne Zusammenhänge nur schwer begreifen. Sein Erinnerungsvermögen und seine Gedächtnisleistungen seien beeinträchtigt. Er könne sich nicht mehr als 10 Minuten auf etwas konzentrieren. Dadurch bedingt habe er kein Interesse mehr an Büchern oder an Fernsehen. Er sei orientierungslos und verlaufe sich ständig. Durch den Verlust seiner Geruchsfähigkeit habe er jeden Genuss an Essen und Trinken verloren. Er leide unter ständiger Erschöpfung, Antriebslosigkeit sowie und Entschlussunfähigkeit und Anhedonie, extremer Interesselosigkeit und Libidoverlust. Der Kläger behauptet, er könne Haushaltsarbeiten nicht mehr selbständig erledigen. Aufgrund seiner Orientierungslosigkeit müsse er außerhalb seiner Wohnung ständig begleitet werden. Er benötige Betreuung rund um die Uhr und könne so gut wie nichts mehr alleine durchführen. Sein Wesen sei durch den Eingriff vollständig verändert worden. In Anbetracht dieser Gesundheitsschäden und Beeinträchtigungen hält der Kläger ein Schmerzensgeld von mindestens 130.000,- EUR für gerechtfertigt.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Landgerichts Köln zu Aktenzeichen 25 O 149/12 hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgelds aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 130.000,00 Euro betragen soll nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2012 auf diesen Betrag.

 

Der Beklagte beantragt,

 

1. das Urteil des Landgerichts Köln, 25 O 149/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen;

 

2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

 

Der Beklagte wendet sich gegen die Bewertung des Behandlungsfehlers als grob durch das Landgericht. Hirnverletzungen gehörten zu den typischen Risiken einer Operation im Bereich der Nasennebenhöhlen. Die Verletzung der Schädelbasis sei keineswegs ungewöhnlich und könne schicksalshaft eintreten. Die Operationsbedingungen seien durch die aufgetretenen Blutungen erschwert gewesen. Was die Auswirkungen der Schädelbasisverletzung angehe, habe Prof. Dr. I sich nicht mit der Frage beschäftigt, wie sich die verspätete Aufnahme des Klägers im Universitätsklinikum ausgewirkt habe. Hierzu müsse der Sachverständige ergänzend Stellung nehmen. Desweiteren sei zu fragen, inwieweit sich die von ihm als „Teilamputation“ bezeichnete Beeinträchtigung des rechten Oberarms nach einer Schnittverletzung auf die allgemeine Erwerbsfähigkeit und die haushaltsspezifische Erwerbsfähigkeit auswirke. Es stelle sich die Frage, inwieweit der Kläger aus neuropsychologischer Sicht nicht mehr in der Lage sei, seine Tätigkeit als Rangierer bzw. Tätigkeiten im Haushalt auszuüben. Das Landgericht habe ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Kläger keinen Anspruch auf Erstattung von Verdienstausfall zusprechen dürfen. Im Hinblick auf vergleichbare Fälle sei ein höheres Schmerzensgeld als 30.000,- EUR nicht gerechtfertigt.

 

Der Kläger erwidert, bei der Teilamputation des Oberarmes habe es sich um eine Dissektion eines Muskelstranges gehandelt, die ihn in keiner Weise beeinträchtigt habe. Er sei vor dem streitgegenständlichen Eingriff einer geregelten Arbeit nachgegangen und könne dies nach dem Eingriff nicht mehr tun. Der Kläger bekräftigt seine Forderung nach einem höheren Schmerzensgeld. Er ist der Auffassung, dass das Verhalten des Beklagten im Prozess, insbesondere die Verweigerung jeder Zahlung trotz eindeutiger Einstandspflicht sogar ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 160.000,- EUR rechtfertigte.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Der Senat hat den Kläger zu den Folgen des Eingriffs und insbesondere zu den Auswirkungen der Hirnverletzungen persönlich angehört und die Zeugin N vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.02.2016 verwiesen (Bl. 439 ff d.A.).

 

Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Berufung des Beklagten zu 2) hat hingegen keinen Erfolg. Der Beklagte zu 2) haftet für die behandlungsfehlerbedingten Folgen des Eingriffs am 06.09.2011.

 

Nach den mit der Berufung nicht weiter angegriffenen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils hat der Beklagte zu 2) bei der Operation am 06.09.2011 gegen anerkannte Grundsätze ärztlicher Kunst verstoßen, indem er die Schädelbasis im Bereich des Siebbeines verletzt und dabei einen knöchernen Defekt von 1 cm mal 2 cm sowie eine Gewebeverdrängung mit Blutung bis in die Hirnventrikel verursacht hat. Darüber hinaus sind Riechfasern verletzt worden. Das Vorliegen eines (einfachen) Behandlungsfehlers wird vom Beklagten zu 2) mit der Berufung nicht mehr in Abrede gestellt.

 

2.)
Als Folge der Schädelbasisverletzung leidet der Kläger an einem mittelgradig ausgeprägten Frontalhirnsyndrom vom fronto-orbitalen Typ. Dies steht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I in seinem schriftlichen Gutachten vom 18.08.2014 auch zur Überzeugung des Senates fest. Der Sachverständige kommt nach gutachterlicher Untersuchung und neuropsychologischer Zusatzbegutachtung zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein Frontalhirnsyndrom vorliege, welches sich durch eine mittelgradige psychomotorische Verlangsamung, durch eine erhebliche Verminderung des Antriebs, durch eine leichtgradige Depression, eine Affektminderung bis zur Affektnivellierung, eine räumliche Orientierungsstörung leichteren Grades, ein vermindertes Selbstwertgefühl, Unentschlossenheit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, insbesondere im Hinblick auf Daueraufmerksamkeitsleistungen sowie Libidoverlust auszeichne. Das fronto-orbitale Frontalhirnsyndrom korreliere mit dem computertomographisch nachgewiesenen destruierten Gehirnareal an der Frontobasis, welches bis zum Nucleus caudatus etwa 4 bis 5 cm tief in das Gehirn reiche. Es handele sich dabei um das Areal der ehemaligen intracerebralen Blutung. Der Sachverständige hat keine Zweifel daran gelassen, dass das Frontalhirnsyndrom und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sind. Die Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar, widerspruchsfrei und insgesamt überzeugend und der Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden in der beschriebenen Ausprägung bewiesen.

 

Darüber hinaus hat der Kläger nach den Ausführungen von Prof. Dr. M infolge des behandlungsfehlerhaften Eingriffs mit Zerreißung der Riechfasern einen irreversiblen Verlust des Riechvermögens erlitten.

 

Da die haftungsbegründende Kausalität bewiesen ist, kommt es auf die Frage eines zur Beweislastumkehr führenden groben Behandlungsfehlers nicht mehr an. Gleichwohl geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht von einem groben Fehler des Beklagten zu 2) aus. Ein grober Fehler liegt dann vor, wenn der behandelnde Arzt eindeutig gegen bewährte Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. Urteil vom 25.10.2011, Az. VI ZR 139/10, Tz. 8).

 

Einen solchen Fehler hat der Sachverständige Prof. Dr. M vorliegend festgestellt. Er hat ausgeführt, dass eine Verletzung der Schädelbasis im Bereich des Siebbeins vorliege. Dieser Bereich sei besonders dünn und verletzlich. Hier dürfe der Arzt nur unter Anwendung äußerster Sorgfalt, mit größter Vorsicht und nur bei absoluter Notwendigkeit mit größter Zurückhaltung operieren, und dies auch nur dann, wenn die Maßnahmen zurückhaltend und unter guten Sichtverhältnissen durchgeführt werden könnten. Darüber hinaus bestehe die eindeutige Regel, nicht medial der Landmarke der mittleren Muschel tätig zu werden und nur im Ausnahmefall unter ganz besonders günstigen Bedingungen dort operativ vorzugehen. Der Sachverständige hat aus den festgestellten Verletzungen zulässig auf die Verletzung der Pflicht zum sorgfältigen Vorgehen in dieser Region und der Verletzung der Regel, nicht medial der Landmarke vorzugehen, geschlossen. Der Sachverständige hat keine Umstände festgestellt und solche sind auch nicht vom Beklagten zu 2) vorgetragen, die seine Vorgehensweise als noch verständlich erscheinen lassen. Der Beklagte zu 2) hat insbesondere nicht dargelegt, aus welchen Gründen er in dem Bereich, in dem der Arzt, so der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung, „nichts zu suchen“ habe, vorgedrungen ist. Soweit der Beklagte zu 2) geltend macht, es sei infolge der Blutungen zu erschwerten Bedingungen gekommen, hat der Sachverständige ausgeführt, die Blutungen entlasteten den Operateur nicht, vielmehr sei in diesem Fall die Sorgfaltspflicht gerade besonders groß gewesen. Notfalls habe die Operation abgebrochen werden müssen.

 

Der Sachverständige hat den Behandlungsfehler aus objektiv medizinischer Sicht als grob bewertet und dies nachvollziehbar und überzeugend begründet. Die Bewertung des Fehlers als grob ist auch aus rechtlicher Sicht gerechtfertigt. Der Beklagte zu 2) ist bei dem Eingriff in einen äußerst sensiblen Bereich eingedrungen, in dem ein operatives Vorgehen nicht indiziert war. Die mit einer Verletzung in diesem Bereich zu erwartenden Schäden waren und sind beträchtlich. Aus diesem Grunde war ein besonders sorgfältiges Vorgehen angezeigt. Diese Sorgfaltspflicht hat der Beklagte zu 2) in besonderem Maße verletzt, weil er ohne Anlass in diesen besonders verletzlichen Bereich vorgedrungen ist, obwohl die Sichtverhältnisse – wie er selbst behauptet – durch Blutungen erschwert waren.

 

Gegen die Annahme eines groben Fehlers spricht entgegen der von dem Beklagten mit der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung nicht, dass die Operation für sich genommen indiziert war. Denn die Frage, ob ein Eingriff indiziert ist, ist von der Frage zu trennen, ob er fehlerfrei durchgeführt worden ist. Mit anderen Worten: Ein Fehler während der Durchführung des Eingriffs wird nicht dadurch verständlich, dass der Eingriff indiziert ist. Im Übrigen hat der Sachverständige Prof. Dr. M aber auch ausgeführt, dass eine Begradigung der Nasenscheidenwand und das Abtragen von Polypen im Bereich der Nasennebenhöhlen zwar indiziert war, eine Indikation oder ein Anlass zum Operieren im Bereich des verletzen Siebbeines gleichwohl nicht bestanden habe.

 

Soweit der Beklagte zu 2) eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. I zu der in erster Instanz aufgeworfenen Frage beantragt hat, ob die mit den Einblutungen einhergehenden Beeinträchtigungen mit einer verspäteten Aufnahme im Universitätsklinikum C in einem Zusammenhang stehen könnten, bedarf es keiner weiteren Beweisaufnahme. Denn der Kläger hat schon nicht substantiiert dargelegt, inwieweit es überhaupt eine Verzögerung bei der Weiterbehandlung des Klägers in C gegeben hat. Nach der Behandlungsdokumentation ist der Kläger in der Nacht vom 06.09. auf den 07.09.2011 in das Universitätsklinikum C verlegt worden. Die Entscheidung zur Verlegung erfolgte um 23.30 Uhr. Der Kläger wurde in C am frühen Morgen des 07.09.2011 stationär aufgenommen. Erste Laborwerte wurden um 4:18 Uhr erhoben. Um welche Uhrzeit der Kläger aufgenommen worden ist und ob und aus welchen Gründen es ggf. zu einer Verzögerung gekommen ist, ist weder dem Vorbringen des Beklagten noch der Behandlungsdokumentation zu entnehmen. Selbst wenn es zu Verzögerungen beim Behandlungsbeginn gekommen sein sollte, würde dies ohnehin nicht einer Haftung des Beklagten entgegen stehen. Denn Fehler von Nachbehandlern unterbrechen den Kausalzusammenhang in der Regel nicht. Der Zurechnungszusammenhang hätte dann entfallen können, wenn die Nachbehandler ein völlig ungewöhnliches, unsachgemäßes Verhalten an den Tag gelegt hätten. Hierfür ist jedoch weder vorgetragen, noch sonst etwas ersichtlich.

 

3.)
Der Kläger kann von dem Beklagten aufgrund des behandlungsfehlerbedingt eingetretenen Gesundheitsschadens eine billige Entschädigung in Geld fordern, §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

 

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigungen bieten, die nicht vermögensrechtlicher Natur sind. In erster Linie bilden die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer und das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Lebensführung im privaten und beruflichen Bereich die wesentliche Grundlage für die Bemessung der Entschädigung.

 

Nachdem sich der Senat durch Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugin N ein Bild von den Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die Lebensführung des Klägers gemacht hat, hält er ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,- EUR für angemessen.

 

Der Kläger ist durch das Frontalhirnsyndrom als Folge der Schädelbasisverletzung in ganz erheblichem Maße in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Seiner beruflichen Tätigkeit als Rangierer bei der E kann er nicht mehr nachgehen. An seiner schadensbedingten Berufungsunfähigkeit bestehen keine vernünftigen Zweifel. Ausgehend von den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. I und den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 03.02.2016 kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Kläger infolge der durch das Frontalhirnsyndrom bedingten Einschränkungen nicht in der Lage war und ist, seine Tätigkeit als Rangierer auszuüben. Insbesondere die sachverständig festgestellten Orientierungsschwierigkeiten, die eingeschränkte Konzentration und die festgestellte Kurzzeitgedächtnisstörung belegen, dass er die an einen Rangierer bei der E zu stellenden Anforderungen nicht erfüllen konnte und kann. Und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zustand des Klägers in der Zukunft entscheidend bessern und er eine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen können wird. Der Kläger bezieht eine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung.

 

Soweit der Beklagte die Frage in den Raum gestellt hat, ob eine Erwerbsunfähigkeit schon durch die Vorschädigung am Arm begründet war, hat Prof. Dr. I in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, das Débridement am Oberarm habe keine relevante Beeinträchtigung der Funktionalität mich sich gebracht. Und der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben, er sei zwar infolge einer Schnittverletzung am Oberarm zeitweilig krankgeschrieben gewesen. Vor der streitgegenständlichen Operation sei er aber wieder voll in den Beruf eingegliedert gewesen und habe seiner Arbeit uneingeschränkt nachgehen können. Der Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens zur Frage der schadensbedingten Erwerbsunfähigkeit bedarf es nach alldem nicht.

 

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers und der Zeugin N ist der Senat ferner davon überzeugt, dass der Kläger durch den streitgegenständlichen Eingriff in nahezu allen Bereichen des privaten Alltags überaus erheblich eingeschränkt ist. Während er früher die Kampfsportart Win Shu mit Leidenschaft ausgeübt hat, ist ihm dies heute nur noch ganz eingeschränkt möglich. Spaziergänge in ihm unbekannter Gegend kann der Kläger nur in Begleitung durchführen. Ein Auto kann der Kläger nicht steuern. Arbeiten im Haushalt kann der Kläger nur in geringem Maße und nur unter Anleitung ausführen. Mit Lesen oder Fernsehen beschäftigt sich der Kläger nur selten und dann lediglich kurz und in der Regel ohne Interesse. Freude empfinden kann der Kläger, der nach Angaben seiner Lebensgefährtin früher ein aktiver und fröhlicher Mensch war, nur noch selten. Er sitzt die meiste Zeit zuhause und tut nichts. Freunde und Bekannte haben sich weitgehend von ihm zurückgezogen. Die Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin besteht weiter, ist jedoch nach den eindrücklichen Schilderungen der Zeugin N durch die kognitiven Defizite des Klägers, die damit verbundene Unselbständigkeit und durch seine Wesensveränderung sehr belastet. Das Sexualleben ist weitgehend zum Erliegen gekommen.

 

Die Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugin N haben dem Senat deutlich gemacht, dass der Kläger unter seiner Wesensveränderung und seinen kognitiven Einschränkungen leidet. Er erlebt sie bewusst. Er weiß, was ihn früher als Person ausgemacht hat und wie er sich seit der Operation verändert hat. Er kennt seine kognitiven Defizite und erlebt sie täglich aufs Neue. Das bewusste Erleben seiner Einschränkungen wirkt sich in nachvollziehbarer Weise negativ auf sein Gefühlsleben aus. Er ist laut Angaben seiner Lebensgefährtin häufig aggressiv und traurig. Auf die Frage des Senatsvorsitzenden, was er am meisten vermisse, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll geantwortet, dass er „den alten K vermisse“.

 

Darüber hinaus hat der Kläger seinen Geruchssinn vollständig verloren und er kann nur noch Salziges und Süßes schmecken.

 

Das durch die Verletzung bedingte Leiden und das Ausmaß der aller Voraussicht nach lebenslangen Beeinträchtigungen in der Lebensführung rechtfertigen ein hohes Schmerzensgeld, das der Senat mit einem Betrag von 200.000,- EUR als angemessen erachtet.

 

Das von dem Beklagten für angemessen gehaltene Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR wird der Schwere der Verletzung und ihren Auswirkungen auf das Leben des Klägers keinesfalls gerecht. Entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 14.03.2016 kann das Schmerzensgeld aber auch nicht einen Betrag von 500.000,00 EUR erreichen und damit in einem Bereich liegen, der nach der Rechtsprechung Fällen von massiven körperlichen und geistigen Schädigungen in der denkbar schlimmsten Form und Ausprägung vorbehalten ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

 

Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes wegen verzögerlichen Regulierungsverhalten hält der Senat nicht für angezeigt, denn es war selbst nach Eingang des Gutachtens von Prof. Dr. M nicht völlig unvertretbar, die Bewertung des Operationsgeschehens als behandlungsfehlerhaft zu bezweifeln.

 

4.)
Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz des im Zeitraum vom 01.10.2011 bis zum 30.11.2013 erlittenen Verdienstausfalls in Höhe von 27.140,22 EUR.

 

Die Höhe des geltend gemachten Verdienstausfalls steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Soweit der Beklagte den Ursachenzusammenhang zwischen Gesundheitsschaden und eingetretenem Verdienstausfall und damit die haftungsausfüllende Kausalität bestreitet, hat der Kläger den Beweis geführt. Für die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität gilt das Beweismaß des § 287 ZPO (BGH VersR 2011, 223; VersR 2008, 644 f). Es steht mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger infolge des behandlungsfehlerbedingt eingetretenen Gesundheitsschadens nicht in der Lage war, seinem Beruf als Rangierer bei der E nachzugehen. Wie bereits ausgeführt, kann nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. I und den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 03.02.2016 kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Kläger infolge des Frontalhirnsyndroms nicht in der Lage war, seine Tätigkeit als Rangierer auszuüben.

 

5.)
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Geldschuld, §§ 288 Abs. 1, 291 ZPO. Der die Klage auf den Beklagten zu 2) erweiternde Schriftsatz vom 16.10.2012 und der klageerhöhende Schriftsatz vom 10.12.2013 sind dem Beklagten zu 2) am 02.11.2012 bzw. am 12.02.2014 zugestellt worden. Für den Zinsbeginn gilt die Vorschrift des § 187 BGB entsprechend (Palandt-Ellenberger, 75. Auflage, § 187 BGB, Rz. 1).

 

6.)
Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich materieller Schäden und zukünftiger, nicht vorhersehbarer Schäden ist zulässig und begründet.

 

Der Beklagte haftet für alle materiellen Schäden, die auf die behandlungsfehlerhafte Operation vom 06.09.2011 zurückzuführen sind. In Bezug auf immaterielle Schäden ist die Ersatzpflicht auf Zukunftsschäden begrenzt, die nicht bereits durch das zuerkannte Schmerzensgeld abgegolten sind, weil sie nicht vorhersehbar waren.

 

7.)
Der Kläger kann von dem Beklagten im Wege des Schadensersatzes Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.518,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 03.11.2012 verlangen.

 

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

 

Berufungsstreitwert: 187.140,22 EUR

 

(Berufung des Klägers: 55.000,00 EUR; Berufung des Beklagten: 132.140,22 EUR [75.000 + 27.140,22 + 30.000])