Mehr als 200.000 Menschen bekommen jährlich in Deutschland eine Hüftprothese eingesetzt. Obwohl die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks als Standardoperation gilt, sind mit dem Eingriff Risiken verbunden. Laut der Jahresstatistik 2014 der MDK-Gemeinschaft passieren im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie die meisten Behandlungsfehler.
Die Hüftarthrose stellt die häufigste Erkrankung dar, die im fortgeschrittenen Stadium oftmals die Implantation eines neuen Hüftgelenks erforderlich macht. Aber auch bei Entzündungen, Fehlbildungen oder unfallbedingten Verletzungen kann der Einsatz einer Hüftprothese indiziert sein.
Hüftarthrose, auch Coxarthrose (Lateinisch coxa = Hüfte) genannt, ist eine degenerative Erkrankung des Hüftgelenks. Bei gesunden Menschen sorgt der Gelenkknorpel des Hüftgelenks dafür, dass nur eine indirekte Reibung zwischen Hüftkopf und Oberschenkelknochen entsteht. Im Falle einer Hüftarthrose wird der Knorpelüberzug von Hüftkopf und Hüftpfanne fortschreitend abgerieben, sodass das Gelenk seine Passform verliert. Meistens treten Beschwerden erst im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf. Die Symptome dieser chronischen Erkrankung sind vielfältig: Gelenkschmerzen, Anlaufschmerzen, Leistenschmerzen, Gangstörungen, Muskel- und Sehnenverspannungen sowie Reibegeräusche.
Orthopäden unterscheiden zwischen einer primären und einer sekundären Coxarthrose. Bei einer primären Coxarthrose lässt sich nicht die genaue Ursache ermitteln. Meistens entwickelt sie sich durch altersbedingte Abnutzungsprozesse des Knorpels. Eine sekundäre Hüftarthrose kann infolge von entzündlichen Gelenkerkrankungen, Gelenkfehlstellungen oder aufgrund eines Unfalls entstehen.
Entzündungen und durchblutungsbedingte Deformierungen spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung von Schädigungen des Hüftgelenks. Die rheumatoide Arthritis bzw. chronische Polyarthritis sind die häufigsten entzündlichen Erkrankungen. Auch seltenere bakterielle Entzündungen, ausgelöst beispielsweise durch Chlamydien, Borrelien oder Campylobacter pylori, sind weitere Indikationen. Infolge von Durchblutungsstörungen sterben bei der Hüftkopfnekrose Bereiche des Hüftkopfes und/oder der gesamte Hüftkopf ab. Durch den Verlust an Festigkeit des Knochengewebes kommt es zu einer Deformierung des Hüftgelenks.
Fehlstellungen, Fehlbildungen und Überlastungen, beispielsweise durch Übergewicht, können ebenfalls zu einer dauerhaften Unbeweglichkeit und Schädigung des Hüftgelenks führen. Eine Fehlbildung (Dysplasie) bewirkt zudem häufig eine sekundäre Arthrose.
Unfallbedingte Brüche (Frakturen) sind weitere mögliche Gründe für eine Implantation. Häufige Indikationen sind beispielsweise ein Oberschenkelbruch unterhalb des Humeruskopfes (subkapitale Femurfraktur) oder eine Trümmerfraktur von Kopf oder Pfanne.
Da die Hüftarthrose die häufigste Indikation für eine Implantation einer Hüftprothese darstellt, werden hier nur kurz mögliche konservative Behandlungs- und Therapieformen vorgestellt.
Vor allem im Frühstadium kann der Patient entscheidend zur Verbesserung der Erkrankung beitragen. Vordergründiges Ziel ist es, mit regelmäßiger, gezielter Gymnastik die Beweglichkeit der Hüfte und die Muskelkraft zu erhalten. Auch die Reduzierung von Übergewicht bewirkt eine Senkung des Arthroserisikos.
Erst bei einem mittleren Stadium der Hüftarthrose werden die folgenden Therapie- und Behandlungsmaßnahmen in Erwägung gezogen:
*Orthesen sind medizinische, vom Orthopädietechniker gefertigte Hilfsmittel zur Stabilisierung, Entlastung, Führung oder Korrektur von Gliedmaßen oder des Rumpfes.
Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium stehen, abhängig von der individuellen medizinischen Indikation, zunächst verschiedene operative Maßnahmen zur Verfügung.
Bei lokal begrenzten Knorpelschäden werden häufig Hüftarthroskopien durchgeführt. Bei dieser minimal-invasiven Methode werden abgebrochene Knorpelstücke entfernt. In weiterer Folge wird dann der aufgeraute bzw. zerrissene Knorpel geglättet.
Weitere operative Therapiemöglichkeiten sind
Mit der Umstellungsosteotomie soll vor allem der einseitigen Abnutzung der Gelenksflächen entgegengewirkt werden. Durch eine veränderte Einstellung des Hüftkopfs in der Hüftpfanne werden bislang nicht belastete Teile des Hüftkopfs in die Belastungszone mit einbezogen. Die Knorpelzelltransplantation kann erst erfolgen, wenn zuvor eine Knorpelzüchtung aus körpereigenem Ersatzgewebe vorgenommen wurde. Der Ersatz des Hüftgelenks bzw. von Teilen des Hüftgelenks durch Prothesen ist die letzte therapeutische Maßnahme zur Behandlung einer Hüftarthrose.
Bei Hüftgelenksprothesen wird prinzipiell zwischen 3 Arten unterschieden:
Wenn sowohl der Gelenkkopf als auch die Gelenkpfanne ersetzt werden, handelt es sich um eine Totalendoprothese (TEP). Bleibt die natürliche Gelenkpfanne erhalten und der Gelenkkopf alleine wird ersetzt, handelt es sich um eine Teilendoprothese bzw. Hemiendoprothese (HEP).
Im Rahmen der Operation wird die Prothese mit dem körpereigenen Knochen verbunden. Die Verankerung der Prothesen kann auf 3 unterschiedliche Arten erfolgen:
Die zementfreie Methode: Bei dieser Methode werden der Hüftschaft und die Hüftpfanne in den Oberschenkelknochen und Beckenknochen eingepresst oder eingeschraubt. Das Material der Komponenten bewirkt regulär ein Anwachsen an das umliegende Knochengewebe. Als Materialien werden Metalle, Polymere und Keramik verwendet.
Die Knochenzementmethode: Der Schaft des künstlichen Gelenks und die Hüftpfanne werden mit Hilfe von Knochenzement im Schaft des Oberschenkelhalsknochens bzw. im Becken fixiert.
Die Hybridmethode: Diese Methode ist eine Kombination aus zementfreier Methode und Knochenzementmethode. Hierbei wird eine Hybridprothese eingesetzt, indem die Hüftpfanne in das Becken geschraubt oder gepresst und der Schaft im Oberschenkelknochen einzementiert wird.
Wie jede Operation birgt auch die Implantation eines Hüftgelenks gewisse Risiken in sich. Komplikationen können während der Operation, unmittelbar danach oder auch noch nach Monaten und Jahren auftreten.
In der Regel dauert die Implantation einer Hüftprothese zwischen 1 und 2 Stunden. Währenddessen (oder auch danach) können folgende unmittelbare, kurzfristige oder langfristige Komplikationen auftreten:
Thrombose: Trotz Einsatz von Blutverdünnungsmitteln kann eine tiefe Venenthrombose auftreten, die zu Dauerfolgen mit Lungenembolie führen kann.
Bluterguss (Hämatom): Trotz der Verwendung von Drainagen kann sich ein Hämatom bilden. In den meisten Fällen ist es oberflächlich, in Ausnahmefällen ist eine erneute Hüft-Operation notwendig.
Infektion: Durch die Besiedelung der umliegenden Umgebung des implantierten Gelenks mit Bakterien kann eine Infektion auftreten. Falls eine solche Infektion mit Antibiotika nicht zu kontrollieren ist, muss das Kunstgelenk ggf. wieder entfernt werden. Erst nach Ausheilung der Infektion kann das Kunstgelenk erneut wieder eingebaut werden.
Hüftverrenkung (Luxation): Bei einer Luxation springt der Hüftkopf aus der Hüftpfanne. Ein Grund dafür kann in der mangelnden Präzision des Operateurs beim Einsatz der Hüftprothese liegen.
Verklebungen und Verwachsungen: Bei unzureichender Bewegung nach der Operation, können Verklebungen oder Verwachsungen im Hüftgelenk auftreten.
Nervenschäden treten nur selten auf und sind meistens zeitlich begrenzt. Bei einem geringen Prozentsatz der Patienten bleiben dauerhafte Nervenschäden zurück.
Beinlängendifferenz: Eine Beinlängendifferenz nach Implantation einer Hüft-TEP tritt nicht selten auf. Bei der Operation wird normalerweise darauf geachtet, dass das Hüftgelenk fest genug sitzt und die Muskulatur eine entsprechende Anspannung aufweist. Im Falle von mangelhafter Anspannung der Muskulatur könnte das Gelenk ausrenken. Aus verschiedenen Gründen kann es schwierig sein, die Beinlänge genau an das andere Bein anzupassen. Im Falle von Beinlängendifferenzen, die maßgebliche funktionelle Störungen bewirken, müssen die genauen Ursachen unter Einbeziehung der OP-Planung ermittelt werden.
Nicht-entzündliche (aseptische) Prothesenlockerungen treten häufig erst mehrere Jahre nach der Operation auf. Primärer Auslöser ist der Einfluss sogenannter Abriebprodukte der Prothese.
Periartikuläre Verkalkung (heterotope Ossifikation): Darunter versteht man Verkalkungen im Bereich der Muskulatur, die nach einigen Wochen bzw. Monaten nach der Operation auftreten können. Bei diesen Verkalkungen handelt es sich um eine Knochenneubildung in der Umgebung des operierten Hüftgelenkes, die ggf. zu Schmerzen und zu Bewegungseinschränkungen führen kann. Vor allem bei sogenannten Risikopatienten, die bereits solche Verkalkungen haben oder beispielsweise unter Morbus Bechterew leiden, wird prophylaktisch häufig eine Bestrahlung empfohlen.
Behandlungsfehler bei Hüftoperationen stellen keine Einzelfälle dar. Die Implantation einer Hüftgelenksprothese ist eine komplexe Operation, die eine präzise Planung und eine ausreichende Erfahrung des Operateurs erfordert.
Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes (MDS) – Bund der Krankenkassen e. V. hat in seiner „Jahresstatistik 2014 – Behandlungsfehler-Begutachtung der MDK Gemeinschaft“ (Mai 2015) festgestellt, dass die meisten Behandlungsfehler im Fachgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie vorkommen (1.258 festgestellte Fehler bei 4.687 begutachteten Fällen). In einer weiteren Übersicht der häufigsten Fehler bei Operationen rangiert die Implantation einer Hüftgelenksprothese an zweiter Stelle.
So kann es unter Umständen vorkommen, dass
Wenn ein Patient nun nach der Implantation einer Hüftgelenksprothese unter schwerwiegenden Komplikationen leidet, besteht bei Verdacht eines oder mehrerer Behandlungsfehler die Möglichkeit, Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
Prinzipiell wird dabei jedoch zwischen der Verantwortlichkeit des Arztes (Operateur) und der des Herstellers unterschieden. Der Operateur kann nämlich nicht für etwaige Materialschäden, also für ein fehlerhaftes Implantat, zur Verantwortung gezogen werden. Der Arzt haftet nur, wenn ihm nachweislich Fehler bei der Implantation unterlaufen oder er den Patienten vor der Operation nicht umfassend über die Risiken oder Behandlungsalternativen aufgeklärt hat.
Beispielsweise muss nach einem Urteil des Oberlandesgerichtes Nürnberg (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 30. April 2015 – 5 U 2282/13) die präoperative Risikoaufklärung in dem Maß erfolgen, dass der Patient sich tatsächlich ein Bild von der Schwere möglicher Folgen und Komplikationen der Operation machen kann. So sollte im vorliegenden Fall bei der Hüftprothesenwechseloperation zunächst nur ein Hüftkopf ausgewechselt werden. Im Zuge der Operation (intraoperativ) stellte sich allerdings heraus, dass zudem die Hüftpfanne ersetzt werden musste. Eine postoperativ aufgetretene Fußheber- und Kniestreckerschwäche sowie die Dislokation des Hüftgelenks machten mehrere Revisionsoperationen erforderlich, bei denen festgestellt wurde, dass der Ischiasnerv (Nervus ischiadicus) bei der ursprünglichen Hüftprothesenwechseloperation durch ein disloziertes Pfannendachfragment verletzt worden war. Das Gericht hielt die Risikoaufklärung – trotz der schriftlichen Einwilligung der Patientin auf einem standardisierten Aufklärungsbogen für den „Wechsel einer Hüftgelenksendoprothese“ und eines Aufklärungsgesprächs mit dem Arzt – für unzureichend und sprach ein Schmerzensgeld zu. Der Fragebogen beinhaltet unter anderem eine Aufzählung möglicher Komplikationen, darunter auch sehr seltene Nervenverletzungen, die dauerhafte Störungen wie z.B. eine Teillähmung des Beines verursachen können. Das Gericht gelangte aber zu der Ansicht, dass der Arzt bei dem Aufklärungsgespräch vor der ersten Operation deutlich darauf hätte hinweisen müssen, dass es während der Operation eventuell zu einem Auswechseln der Hüftpfanne kommen könne und dass damit ein erhöhtes Risiko der Verletzung des Ischiasnervs verbunden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedürfen ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung des Patienten, um rechtmäßig zu sein. Eine solche Einwilligung kann aber nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 12. März 1991 – VI ZR 232/90; Urt. v. 14. März 2006 – VI ZR 279/04). Eine exakte medizinische Beschreibung der möglichen Risiken ist nicht erforderlich, aber dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden. Dazu gehört auch der Verweis auf sehr seltene Risiken und deren Folgen (vgl. BGH, Urt. v. 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82).
Ein Schmerzensgeldanspruch kann zum Beispiel auch entstehen, wenn ein Arzt noch relativ neue und nicht allgemein eingeführte Operationsmethoden einsetzt und den Patienten nicht unmissverständlich über unbekannte Risiken zum Zeitpunkt der Operation aufklärt (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 8. November2013 – 25 U 79/12).
Der Nachweis von Behandlungsfehlern erfordert eine extrem schlüssige Beweisführung auf Seiten des Patienten bzw. seiner Gutachter, da operationsbedingte Komplikationen niemals auszuschließen sind. So besteht bei der Implantation eines Hüftgelenks durchaus die Gefahr einer postoperativen Luxation (Ausrenkung). Von einer Luxation lässt sich nicht automatisch auf einen Behandlungsfehler schließen (fehlerhafte Positionierung der Prothese oder mangelhafte Fixation des Prothesenschaftes und/oder der Pfanne). Falls eine solche Luxation tatsächlich auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist, müssen Patient und Gutachter den Nachweis eines konkreten Behandlungsfehlers erbringen. Dies kann sich aufgrund verschiedener Faktoren als problematisch erweisen, da beispielsweise anhand von Röntgenaufnahmen die tatsächlichen räumlichen Verhältnisse nur bedingt zu beurteilen sind (vgl. OLG München, Urt. v. 24. November 2011 – 1 U 976/11).
Auch bei immer wieder auftretenden bakteriellen Infektionen, die beispielsweise zu einer Lockerung des Hüftgelenkes (Schaftlockerung) führen können, müssen Patient und Gutachter einen ursächlichen Bezug zur Operation herstellen können, um Schmerzensgeldansprüche geltend zu machen (vgl. OLG München, Urt. v. 24. November 2011 – 1 U 976/11; LG Kleve, Urt. v. 5. September 2012 – 2 O 215/11)