Unterlassene Befunderhebung/Überdiagnostik

Der Arzt ist verpflichtet, seine Anfangsdiagnose im Laufe der Behandlung des Patienten immer wieder selbstkritisch zu überprüfen, insbesondere da die gleiche Krankheit bei verschiedenen Patienten mitunter unterschiedliche Symptome hervorrufen kann. Es ist also möglich, dass eine anfangs gestellte Diagnose (Aufklärung über eine Erkrankung) noch nicht vollständig oder falsch ist und weitere Untersuchungen erforderlich sind, weil die Beschwerden des Patienten nicht abnehmen oder das Krankheitsbild noch unklar ist (z. B. weil neue bzw. andere Symptome, die nicht mit der eingangs angenommenen Erkrankung in Einklang gebracht werden können, hinzu- bzw. aufgetreten sind).

Befunderhebungsmaßnahmen

Zu den Maßnahmen, die erforderlich werden können, um eine Diagnose zu stellen, gehören z. B. palpatorische Untersuchungen (d. h. Untersuchungen durch Betasten des Körpers), Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen, Sonographien oder Kernspintomographien. Je weniger belastend die weitergehende Untersuchung für den Patienten ist, desto eher ist sie durchzuführen. Eine Untersuchung, die besonders belastend, schmerzhaft und/oder risikoreich für den Patienten ist, darf zur diagnostischen Erhebung nur dann durchgeführt werden, wenn dem Patienten durch die vermutete und daher auszuräumende Erkrankung größere Gefahren drohen würden als durch die belastende Untersuchung selbst.

Art und Umfang der Befunderhebung

Art und Umfang der Befunderhebung orientieren sich also am Krankheitsbild des jeweiligen Patienten, wobei wiederrum der Facharztstandard des Arztes maßgebend ist.

Unterlassene Befunderhebung

Wenn der Arzt die Durchführung einer diagnostisch gebotenen Befunderhebung unterlässt, macht er sich eines Behandlungsfehlers (Unterlassene Befunderhebung) schuldig.

 

Der Arzt handelt ebenso behandlungsfehlerhaft im Sinne der unterlassenen Befunderhebung, wenn er die Durchführung der diagnostisch gebotenen Befunderhebung so spät vorgenommen hat, dass sich dadurch die Heilung des Patienten verzögert. Er (der Arzt) haftet für diese Verzögerung.

Überdiagnostik

Aber auch die Durchführung einer nicht gebotenen weiteren Untersuchung kann einen Behandlungsfehler (Überdiagnostik) darstellen. Insbesondere wenn die mit der durchgeführten Untersuchung verbundenen Belastungen nicht im Verhältnis zu den Gefahren der möglichen Erkrankung stehen.

 

Eine Überdiagnostik besteht auch in folgendem Beispiel: Es ist unklar, ob der Patient an Krankheit A oder Krankheit B leidet. Bei beiden Erkrankungen wird die gleiche Behandlungsmethode angewandt. Trotzdem veranlasst der Arzt weitergehende Untersuchungen, um genau sagen zu können, an was der Patient erkrankt ist. Da die Behandlungsmethode bei beiden Krankheiten gleich ist, ist das Herausfinden der genauen Erkrankung überflüssig und stellt einen Behandlungsfehler im Sinne der Überdiagnostik dar.

Wenn der Arzt die Durchführung einer diagnostisch gebotenen Befunderhebung unterlässt oder eine diagnostisch nicht gebotene Untersuchung veranlasst, kann ein Behandlungsfehler im Sinne der unterlassenen Befunderhebung bzw. Überdiagnostik vorliegen.