2 Ärzte, 2 Behandlungsfehler, 45.000,00 € Schmerzensgeld

Ein Kinderarzt, der bei der U3-Untersuchung eines Kleinkindes eine Reifeverzögerung seiner Hüfte aufgrund einer falschen Diagnose verkannt hat, und ein Orthopäde, der zur späteren Abklärung eines auffälligen Gangbildes des Kindes röntgenologische Befunde oder Kontrollen im engen zeitlichen Abstand versäumt hat, können dem Kind auf Schadensersatz haften, wenn sich beim Kind infolge der Behandlungsfehler eine Hüftgelenksluxation ausgebildet hat, die operativ versorgt werden muss.“ (Leitsatz OLG Hamm)

 

Hamm. Das Oberlandesgericht hat vor kurzem einem heute 7-jährigen Mädchen ein Schmerzensgeld i. H. v. 45.000,00 € zugesprochen, weil sie sich wegen fehlerhafter Behandlungen mehrerer Operationen zur Reposition ihres Hüftgelenks unterziehen musste (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 31. Oktober 2016 – 3 U 173/15).

 

Auffälligkeiten am Hüftgelenk bereits im Krankenhaus festgestellt

 

Bei der im Jahre 2009 geborenen Klägerin wurde während der U2-Untersuchung, welche üblicherweise kurz nach der Entbindung im Krankenhaus durchgeführt wird, eine Auffälligkeit am Hüftgelenk mit der Notwendigkeit einer Nachkontrolle festgestellt. Die weitergehende kinderärztliche Betreuung wurde in der Folgezeit von dem Beklagten 1) übernommen. Dieser stellte jedoch in der sonographischen Untersuchung der Hüftgelenke während der U3-Untersuchung keine Auffälligkeiten mehr fest und bescheinigte der Klägerin die normale Entwicklung beider Hüften. 1 Jahr später wurde das Mädchen dann wegen eines – durch die Eltern geschilderten – auffälligen Gangbildes an den Beklagten 2), einen Orthopäden, überwiesen. Dieser verordnete krankengymnastische Übungen, unterließ es aber das auffällige Gangbild röntgendiagnostisch und durch engmaschige Kontrollen abklären zu lassen. Erst ein 2. Orthopäde diagnostizierte bei der Patientin im Februar 2012 eine Hüftgelenksluxation, welche in der Folge 2-mal operativ behandelt werden musste.

 

Diagnosefehler durch Kinderarzt

 

Das von den Eltern stellvertretend für ihre Tochter durchgeführte Klageverfahren hatte sowohl erstinstanzlich als auch zweitinstanzlich dem Grunde nach Erfolg. Lediglich die Höhe des Schmerzensgeldes wurde von dem Oberlandesgericht Hamm herabgesetzt.

 

Dem Kinderarzt ist nach Urteil des OLG ein haftungsrelevanter Diagnosesfehler unterlaufen, weil er die während der U3-Untersuchung erstellten Sonographieaufnahmen fehlerhaft ausgewertet habe. Hätte der Beklagte 1) die richtige Diagnose gestellt, wäre – nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen – mit großer Wahrscheinlichkeit eine konservative Behandlungsmaßnahme (also durch breites Wickeln oder Spreizhose) ausreichend gewesen, um die Fehlentwicklung zu beheben.

 

Unterlassene Befunderhebung durch Orthopäden

 

Der Orthopädie haftet dagegen auf der Grundlage des Unterlassens notwendiger Befunderhebungen. Er sei nach den Ausführungen des Gerichts dazu verpflichtet gewesen, die Ursachen der auffälligen Gangart des Mädchens umfassend mittels entsprechender Untersuchungsmaßnahmen (z. B. durch eine Röntgenkontrolle oder alternativ durch eine engmaschige Kontrolle des Gangbildes) abzuklären. Hätte der Beklagte 2) bereits bei der ersten Untersuchung des Mädchens eine röntgenologische Untersuchung angeordnet, hätte auf den dadurch zu Tage getretenen Befund in jedem Fall reagiert werden müssen, um den bereits entstandenen Schaden nicht weiter fortschreiten zu lassen.

 

Schmerzensgeld i. H. v. insgesamt 45.000,00 € angemessen

 

Während das Landgericht bei der Bemessung der (höheren) Schmerzensgeldbeträge auch „die Ungewissheit einer vollständigen Ausheilung mit dem Risiko etwaiger Entwicklungsstörungen, vorzeitiger Verschleißerscheinungen“ etc. einbezogen hat, erklärte das Oberlandesgericht diese Entscheidung für unsachgemäß. Insbesondere da zurzeit bei der Klägerin keinerlei Anzeichen für einen solchen Verlauf vorlägen, könnten rein spekulative Erwägungen zu etwaig eintretenden Spätfolgen allein Gegenstand des Feststellungsantrages sein.

 

So wurde der Kinderarzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i. H. v. 25.000,00 € verurteilt; der Orthopäde „lediglich“ i. H. v. 20.000,00 €. Schmerzensgelderhöhend wirkte sich zulasten des beklagten Kinderarztes die Tatsache aus, dass bei richtiger Diagnose die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Behandlung ohne operative Maßnahmen sehr hoch gewesen wären.