LG Koblenz: Überstopfen eines Zahnes blieb unbemerkt wegen unterlassener Befunderhebung

Aufgrund der Tatsache, dass das Überstopfen eines Zahnes die Gefahr – wie sie sich in diesem Fall tatsächlich verwirklichte – eines entzündlichen Prozesses mit sich bringen kann, ist das Unterlassen des Anfertigens einer kontrollierenden Röntgenaufnahme behandlungsfehlerhaft.

 

 

LG Koblenz
Urteil v. 10.03.2015 – 6 S 310/14

 

 

Tenor

 

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Sinzig vom 04.06.2014, Az. 10 C 1053/11, abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.316,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.01.2011, ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,00 € sowie weitere 489,45 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.01.2012 zu zahlen.

 

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

 

Gründe

 

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers.

 

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

 

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass die ärztliche Behandlung durch die Beklagte am 20.11.2003 ursächlich für die vom Kläger erlittenen Schmerzen infolge der zahnärztlichen kieferorthopädischen Behandlungen im Jahre 2008 sowie die ihm entstandenen Behandlungskosten für die Herstellung eines Zahnersatzes gewesen ist. Als Ursache für den entzündlichen Prozess habe der Sachverständige eine sogenannte überstopfte Wurzel des Zahnes 17, der bereits vor dem Zahn 16 wurzelbehandelt worden sei, vermutet.

 

Der Vortrag des Klägers in seinem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz, dass die Beklagte den Zahn 17 fehlerhaft behandelt habe und dies ursächlich für die in der Klageschrift dargestellten Beschwerden und Schäden geworden sei, sei gemäß § 296a ZPO verspätet und ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung habe nicht bestanden. Der Kläger habe sich die Vermutungen des Sachverständigen auch vorher nicht zu eigen gemacht.

 

Hiergegen wendet sich die Berufung, mit der der Kläger seine ursprünglichen Klageanträge weiter verfolgt und seinen erstinstanzlichen Vortrag vertieft. Ergänzend beruft er sich ausdrücklich darauf, dass die Beklagte durch Überstopfen des Zahnes 16 die mit der Klageschrift geltend gemachten Schäden verursacht habe.

 

Die Berufung ist begründet.

 

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung.

 

Das Amtsgericht hat den Sachvortrag des Klägers in erster Instanz nicht hinreichend gewertet und die Anforderungen an den Sachvortrag hinsichtlich des Behandlungsfehlers überspannt. Gleichzeitig hat es verkannt, unter welchen Umständen davon auszugehen ist, dass sich ein Beweisführer die ihm günstigen Feststellungen eines Sachverständigen im Arzthaftungsprozess zu eigen macht.

 

Völlig zutreffend hat das Amtsgericht dargelegt, dass an die Substantiierung des Sachvortrags zu einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen; dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 27.09.2001, Aktenzeichen IV ZR 199/03). Genügend aber auch erforderlich ist es, den Ablauf der Behandlung in groben Zügen darzustellen und anzugeben, dass die Behandlung misslungen ist, worin das Misslingen besteht sowie die Verdachtsgründe mitzuteilen, die eine vorwerfbare Fehlbehandlung wenigstens plausibel erscheinen lassen. Der Vortrag muss mindestens in groben Zügen erkennen lassen, welches ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden hieraus entstanden sein soll (OLG Köln, Beschluss vom 05.09.2014, Aktenzeichen 5 U 61/14).

 

Diesen Anforderungen wird aber bereits der Vortrag des Klägers in der Klageschrift hinreichend gerecht. Ihm kann insbesondere nicht angelastet werden, dass er von der Überstopfung des Zahns 16 nichts gewusst hat und dies nicht bereits im Rahmen der Klageschrift vorgetragen hat. Stellt sich aber dann im Rahmen der Beweisaufnahme heraus, dass dies aller Wahrscheinlichkeit nach die Ursache für den entzündlichen Prozess gewesen ist, den der Kläger als Ursache seiner Beschwerden in der Klageschrift angegeben hatte, und die Behandlung ebenfalls unstreitig durch die Beklagte vorgenommen wurde, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger sich auch darauf berufen will, ohne dass dies ausdrücklich von ihm erklärt werden müsste.

 

Das Überstopfen des Zahnes 16 stellt auch einen Behandlungsfehler dar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens das Überstopfen des Zahnes die Gefahr mit sich brachte, dass es zu einem entzündlichen Prozess kam, wie er tatsächlich eingetreten ist. Von einem Behandlungsfehler wäre nur dann nicht auszugehen gewesen, wenn die Beklagte für das Überstopfen des Zahnes eine medizinische Notwendigkeit und weitere Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Entzündungsgefahr dargelegt hätte, was jedoch nicht der Fall war.

 

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch davon auszugehen, dass das Überstopfen des Zahns 16 ursächlich für die vom Kläger mit der Klageschrift dargelegten Schmerzen und Schäden geworden ist. Die hohe Wahrscheinlichkeit hat der Sachverständige in seinen Gutachten und Ergänzungsgutachten nachvollziehbar und überzeugend herausgearbeitet. Es hätte insoweit der Beklagten oblegen, den Beweis zu führen, dass die Entzündung im Bereich der Zähne 16 und 17 auf eine andere Ursache als ihren Behandlungsfehler zurückzuführen war.

 

Die Beklagte handelte auch schuldhaft. Sie hätte durch die obligatorischen Röntgenaufnahmen das Überstopfen des Zahns 16 feststellen und den Beklagten auf die hierdurch bestehende Gefahr der Entstehung entzündlicher Prozesse hinweisen müssen. Darüber hinaus hätte sie den Zahn 16 regelmäßig auf etwaig entstehende Entzündungen untersuchen und überwachen sowie bei Anhaltspunkten für deren Auftreten Gegenmaßnahmen einleiten müssen. Dies hat sie nicht getan.

 

Der Höhe nach steht dem Kläger Schadensersatz für die durch den Behandlungsfehler erforderlichen Folgekosten zu. Diese hat er mit 2.380,16 € angegeben. Hiervon war aufgrund nicht hinreichenden Bestreitens der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat sich mit dem entsprechenden, durch Vorlage der Abrechnung des Heil- und Kostenplans (Anlage K 11) konkretisierten Sachvortrag des Klägers nicht hinreichend auseinandergesetzt. Sie hat sich auf ein pauschales Bestreiten beschränkt. Dies reicht nicht aus. Die Beklagte hätte konkret darlegen müssen, inwiefern die behaupteten Folgekosten unzutreffend waren.

 

Dem Kläger steht auch ein Schmerzensgeld zu. Der Höhe nach geht die Kammer gemäß § 287 ZPO davon aus, dass ein solches in Höhe von 2.500 € angemessen ist. Auch insofern legt die Kammer den Sachvortrag des Klägers zu Grunde, da sich auch diesbezüglich die Klägerin auf ein pauschales Bestreiten beschränkt und nicht dargelegt hat, dass die vom Kläger behaupteten Beschwerden aus medizinischen Gründen nicht auf den Behandlungsfehler zurückzuführen wären. Insbesondere im Hinblick auf die behaupteten entzündlichen Prozessen und die Degeneration des Kieferknochens sowie die erforderlichen Folgebehandlungen und deren Auswirkungen wäre ein konkreter Sachvortrag der Beklagten zumutbar und zu erwarten gewesen.

 

Die Kammer hat insbesondere die Umstände, dass der Kläger sich für vier Tage in stationäre Behandlung begeben, sich zunächst einer Folgebehandlung unter Vollnarkose unterziehen musste und auch in der Folgezeit mit erheblichen Beeinträchtigungen seines Tagesablauf, insbesondere der Nahrungsaufnahme, und mit Schmerzen zu leben hatte sowie die weitere Folgebehandlung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt.

 

Die ausgeurteilten Zinsen sowie die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten schuldet die Beklagte wegen Verzugs.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.