OLG Hamm: Aufklärungsfehler bei Mandeloperation einer 9-jährigen

Das OLG Hamm sprach ein Schmerzensgeld i. H. v. 3.000,00 € wegen Aufklärungsfehlern zu, weil die Eltern eines 9-jährigen Mädchen nicht ausreichend über die Risiken der verwendeten Behandlungsmethode im Hinblick auf die Entfernung der Gaumenmandeln informiert wurden.

 

 

OLG Hamm
Urteil v. 15.08.2008 – 26 U 51/08

 

 

Tenor

 

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. Januar 2008 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum teilweise abgeändert.

 

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 3.000 € nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. April 2006 zu zahlen.

 

Die Beklagten werden des Weiteren verurteilt, als Gesamtschuldner die Klägerin gegenüber dem Rechtsanwalt u von außergerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren i. H. v. 308,21 € nebst Zinsen i. H. v. 5 % Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 29.04.2006 freizustellen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

 

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 95 Prozent und die Beklagten 5 Prozent.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

I.
Die Beklagten betreiben eine Gemeinschaftspraxis für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Die damals neunjährige Klägerin wurde nach einer Voruntersuchung und -besprechung vom 06.11.2003 durch die Beklagte zu 2) und nach stationärer Aufnahme mit Untersuchung und Besprechung vom 25.11.2003 von dem Beklagten zu 1) am 26.11.2003 an den Gaumen- und Rachenmandeln operiert. In der Folge kam es zu erheblichen Nachblutungen, die das zeitweilige Versetzen der Klägerin in ein künstliches Koma und eine Revisionsoperation erforderlich machten.

 

Die Klägerin hat behauptet, ihre Eltern als gesetzliche Vertreter hätten keine Einwilligung zu der Operation erteilt. Operation und Nachsorge seien behandlungsfehlerhaft verlaufen. Die Klägerin hat die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes i. H. v. mindestens 50.000 € nebst Zinsen, die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden und die Zahlung vorprozessualer nicht anrechenbarer Rechtsanwaltsgebühren begehrt sowie Informations- und Herausgabeansprüche zu Behandlungsunterlagen und Behandlern geltend gemacht.

 

Die Beklagten haben die Abweisung der Klage begehrt, eine wirksame Einwilligung nach hinreichender Aufklärung behauptet und Behandlungsfehler in Abrede gestellt.

 

Das Landgericht hat nach der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof Dr. C nebst mündlicher Anhörung zur Frage von Behandlungsfehlern sowie nach Vernehmung der Zeuginnen C2 und C3 zur Frage der Patientenaufklärung die Klage abgewiesen, weil Behandlungsfehler nicht feststellbar seien und die hinreichende Aufklärung durch die Zeugenvernehmung bewiesen sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten – insbesondere wegen des Wortlautes der gestellten Anträge – wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

 

Mit der Berufung hat die Klägerin zunächst die Zahlung eines Schmerzensgeldes i. H. v. mindestens 50.000 €, die Feststellung der Ersatzpflicht und die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten weiterverfolgt. Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht ist im Senatstermin vom 25.07.2008 zurückgenommen worden.

 

Die Klägerin verweist weiterhin darauf, dass sie die vorgesehene schriftliche Einwilligung nicht unterzeichnet habe und eine mündliche Einwilligung auch konkludent nicht erteilt und nicht durch die Krankenunterlagen und die Aussagen der vernommenen Zeuginnen bewiesen worden sei. Ohnehin sei die für eine wirksame Einwilligung notwendige Aufklärung seitens der Beklagten insbesondere mangels Risikoaufklärung zu den Operationsmethoden und Operationserweiterungen unzureichend gewesen und habe den Empfängerhorizont der gesetzlichen Vertreter nicht berücksichtigt. Sie behauptet weiterhin, dass Operation und Nachsorge behandlungsfehlerhaft erfolgt seien.

 

Die Klägerin beantragt,

 

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, welches 50.000 € nicht unterschreiten sollte, nebst gesetzlichen Zinsen gemäß §§ 288 Abs.1, 247 BGB seit dem 29.04.2006 zu zahlen,

 

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.807,20 € nebst gesetzlichen Zinsen gemäß §§ 288 Abs.1, 247 BGB seit dem 29.04.2006 zu zahlen, hilfsweise: festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die Klägerin von außergerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.807,20 €nebst gesetzlichen Zinsen gemäß §§ 288 Abs.1, 247 BGB seit dem 29.04.2006 gegenüber Herrn Rechtsanwalt u, C-Straße in … D, freizustellen.

 

Die Beklagten beantragen,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweisen darauf, dass eine schriftliche Einwilligung nicht erforderlich sei und behaupten, es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine hinreichende Aufklärung über die Risiken und die Möglichkeit der Operationserweiterung sowohl bei dem Erstgespräch am 06.11.2003 als auch 25.11.2003 erfolgt. Das Verhalten der Mutter der Klägerin bei und nach den Aufklärungsgesprächen sei als schlüssige und wirksame Einwilligung in die Operation anzusehen. Diese sei sodann ebenso wie die Nachsorge ausweislich der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen behandlungsfehlerfrei verlaufen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Der Senat hat im Senatstermin vom 25.07.2008 die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. C. Wegen des Ergebnisses wird auf den Vermerk des Berichterstatters verwiesen.

 

II.
Nachdem die Klägerin im Senatstermin die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden zurückgenommen hat, hat der Senat nur noch über die Anträge auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten zu entscheiden. Die Berufung hat insoweit nur in dem erkannten Umfang Erfolg.

 

1.
Der Klägerin steht gegen beide Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Schmerzensgeld i. H. v. 3.000 € gem. den §§ 611, 280, 823, 253 Abs.2 BGB zu.

 

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senates fest, dass der Beklagten zu 1) an der Klägerin die Adeno-Tonsillektomie ohne eine wirksame Einwilligung ihrer Eltern als gesetzliche Vertreter vorgenommen hat:

 

Jeder körperliche Eingriff – auch zu Heilzwecken – bedarf einer wirksamen Einwilligung des Patienten. Diese Einwilligung ist nur dann wirksam, wenn der Patient zuvor auch über die Tragweite des Eingriffs informiert wird. Andernfalls ist ihm die Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Umstände und letztlich die Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts nicht möglich.

 

Nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C bei seiner Anhörung durch den Senat war es zur sachgerechten Information des Patienten unter anderem erforderlich, nicht nur über die Operation der Gaumenmandeln aufzuklären, sondern auch darüber, dass nicht nur die vorgesehene Teilresektion, sondern unter Umständen eine vollständige Entfernung erforderlich sein würde, weiterhin, dass gegebenenfalls weitergehend auch eine Resektion der Rachenmandeln und damit eine Operation in einem anderen Gebiet notwendig sein würde und diese nicht mit einem Laser, sondern konventionell erfolgen würde. Eine solche Aufklärung war insbesondere deshalb notwendig, weil es der Mutter der Klägerin als gesetzliche Klägerin gerade darum ging, eine bloße Teilresektion der Gaumenmandeln durchführen zu lassen, und zwar nur durch eine vermeintlich risikolose Laseroperation, während hier die vergrößerten Gaumenmandeln konkret darauf hindeuteten, dass auch die Rachenmandeln vergrößert sein würden, deren Entfernung dann aber konventionell erfolgen würde.

 

Eine solche Aufklärung lässt sich vorliegend nicht feststellen:

 

Das gilt zum einen für das Aufklärungsgespräch vom 06.11.2003. Die Eintragungen in der von den Beklagten für die Klägerin geführten Karteikarte sind zum Nachweis nicht geeignet. Es lässt sich schon nicht sicher feststellen, dass die neben dem 02.12.2003 stehenden und mit einer anderen Kugelschreiberfarbe ausgeführten Eintragungen überhaupt eine Aufklärung unter dem 06.11.2003 wiedergeben. Die nur knappen Vermerke geben ansonsten allenfalls die getroffenen medizinischen Befunde wieder. Ob und inwieweit sie der Mutter der Klägerin vermittelt worden sind, und zwar so, dass diese sie entgegen ihren Angaben bei der persönlichen Anhörung ausreichend verstanden hat und dadurch hinreichende Grundlagen für ihre Entscheidung gehabt hat, lässt sich daraus nicht herleiten. Die dazu vernommene Zeugin C2 hat schon vor dem Landgericht bekundet, dass sie keine konkrete Erinnerung mehr an das hier fragliche Aufklärungsgespräch haben. Soweit sie sodann den Befund aus den Eintragungen in der Karte hergeleitet hat, besagt dies nichts zum Inhalt der Aufklärung gegenüber der Patientin und ihrer Mutter.

 

Der von der Mutter der Klägerin nicht unterzeichnete Aufklärungsbogen weist unabhängig von der Frage, unter welchen Umständen eine schriftliche Aufklärung überhaupt ausreichend ist, eine hinreichende Aufklärung schon deshalb nicht nach, weil die dort aufgezeichneten Alternativen, insbesondere die Erweiterung der Operation auf eine Adeno-Tonsillektomie, nicht angekreuzt ist.

 

Dass eine ausreichende Aufklärung am 25.11.2003 erfolgt ist, ist ebenfalls nicht feststellbar. Der vorgesehene Aufklärungsbogen ist nicht unterzeichnet worden. Eine ausreichende mündliche Aufklärung ist ebenfalls nicht feststellbar. Es ist bereits nicht substanziiert dargelegt, dass die gesetzlichen Vertreter der Klägerin umfassend und so aufgeklärt worden sind, dass sie die maßgeblichen Umstände verstanden haben. Auch die Beweisaufnahme hat dazu keine weitergehenden Erkenntnisse gebracht. Die dazu vernommene Zeugin C3 hat sich bei der Vernehmung vor dem Landgericht gerade nicht daran erinnern können, dass die oben angeführten aufklärungspflichtigen Umstände – insbesondere die Komplettresektion der Gaumenmandeln und die Resektion der Rachenmandeln – erörtert worden sind.

 

Der schriftliche Vermerk der Zeugin gibt durch die bloße Bestätigung, dass die Aufklärung erfolgt sei, wie es der Beklagte zu 2) immer mache, nichts her.

 

Weil danach eine hinreichende Aufklärung von den Beklagten nicht bewiesen worden ist, hat der Senat davon auszugehen, dass sie nicht erfolgt ist. Der in der Operation liege körperliche Eingriff ist dann nicht gerechtfertigt.

 

Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Vertreter der Klägerin jedenfalls hypothetisch eingewilligt hätten, wenn eine umfassende Aufklärung vorgelegen hätte. Der Senat nimmt es der Mutter der Klägerin nach den Erklärungen und dem Eindruck bei der persönlichen Anhörung ab, dass zumindest ein ernsthafter Entscheidungskonflikt bestanden hätte, sich also eine hypothetische Einwilligung nicht feststellen lässt. Dafür spricht insbesondere, dass aus der Sicht der Klägerin Grund für den Eingriff nur laute Schlafgeräusche gewesen sind und damit für sie keine zwingende Notwendigkeit für die Operation bestanden hat, und weiterhin, dass sie in der Vergangenheit bereits einmal die Einwilligung in eine solche Operation verweigert hat.

 

Der Beklagte zu 1) hat deshalb für sämtliche Beeinträchtigungen einzustehen, die die Klägerin im Rahmen der Operation erlitten hat. Die Beklagte zu 2) haftet hierfür als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 1). Denn beide Beklagten sind unstreitig in einer Gemeinschaftspraxis verbunden; als Mitbetreiber haften sie zumindest vertraglich als Gesamtschuldner (BGH-Urteil v. 08.11.2005 – VI ZR 319/04 – ).

 

Der Senat hält unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände ein Schmerzensgeld i. H. v. 3.000 € für angemessen. Er hat dabei einerseits insbesondere die operationsbedingten Schmerzen der Klägerin und den schicksalhaften Verlauf der Komplikationen berücksichtigt, weiterhin die zeitweise erlittenen Ängste, die die Klägerin infolge des Erlebens entwickelt hat, andererseits, dass körperliche Spätfolgen oder Behandlungsfehler nicht feststellbar sind (dazu unter 4.). Weitergehende zukünftige psychische Beeinträchtigungen werden nicht mehr geltend gemacht; insoweit hat die Klägerin ihren streitigen Vortrag im Senatstermin fallen gelassen.

 

2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus den Gründen zu 1. gem. den §§ 249, 257, 286 Abs.3, 288 BGB i.V.m. den § 1, 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 2300, 7002, 7008 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG auch den erkannten Anspruch auf Freistellung von dem Anspruch ihres Prozessbevollmächtigen auf Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten.

 

Der Höhe richtet sich der erstattungsfähige Anspruch nach dem Maß des Obsiegens in diesem Prozess. Anzusetzen ist die Mittelgebühr von 1,3 nach einem Streitwert von 3.000 €; dass ein höherer Gebührenansatz gerechtfertigt ist, hat die Klägerin trotz des Bestreitens der Beklagten nicht dargelegt. Gründe für einen Ansatz höher als 1,3 sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Verlangt werden kann überdies nur Freistellung, weil die Klägerin ungeachtet des Bestreitens der Beklagten nicht nachgewiesen hat, dass sie die Forderung bereits beglichen hat.

 

3.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche gem. den §§ 611, 280, 823, 253 Abs.2 BGB wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern zu.

 

Der Senat geht mit dem Landgericht davon aus, dass auf der Basis der plausiblen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C Behandlungsfehler nicht festzustellen sind. Die Operation war medizinisch indiziert und wurde ebenso wie die postoperative Nachsorge fachgerecht durchgeführt. Bei den eingetretenen und mittlerweile nicht mehr gegebenen Beeinträchtigungen handelt es sich um schicksalhafte Komplikationen, die einen Schluss auf das Vorliegen von Behandlungsfehlern nicht zulassen. Insoweit wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Auch die Klägerin erhält ihren Vorwurf zwar aufrecht, begründet sie aber nicht weiter und setzt sich mit den Ausführungen der angefochtenen Entscheidung nicht auseinander.

 

Die Berufung hat demnach nur teilweise Erfolg.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 269 Abs.2 S.3 , 92 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711, 713, 543 ZPO.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

 

 

Quelle: Entscheidungsdatenbank NRW