LG Aachen: 700.000 € Schmerzensgeld wegen unnötig verzögerter Behandlung eines 2,5-Jährigen

Die verspätet gestellte Diagnose und Behandlung einer tuberkulösen Menigitis hatte bei einem 2,5-Jährigen schwerste cerebrale Schädigungen zur Folge, die ihn u. a. im Hinblick auf seine Motorik auf den Stand eines 3-4 Monate alten Kindes zurückgeworfen haben. Das Landgericht Aachen verurteilte die Klinik zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i. H. v. 700.000,00 €.

 

 

LG Aachen
Urteil v. 30.11.2011 – 11 O 478/09

 

 

Tenor

 

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger – zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter – ein Schmerzensgeld in Höhe von 700.000,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2009 zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm in Zusammenhang mit der stationären Behandlung im C- Krankenhaus in T im Zeitraum 19. bis 27.05.2004 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

 

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

 

Tatbestand

 

Der am # geborene Kläger nimmt, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, die Beklagte als Trägerin des C- Krankenhauses in T auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Feststellung ihrer Einstandspflicht in Zusammenhang mit Behandlungsfehlern anlässlich seiner stationären Behandlung in der Kinderklinik des C- Krankenhauses in T in der Zeit vom 19. bis zum 27.05.2004 in Anspruch.

 

Der zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alte Kläger litt seit dem 09.05.2004 unter Durchfall, Erbrechen und rezidivierenden Fieberschüben bis 39,5 °C. Die Behandlung erfolgte zunächst durch ambulante Kinderärzte, wobei Antibiotika verordnet wurden. Am 19.05.2004 wurde der Kläger jedoch wegen des fortbestehenden und im Hinblick auf die Ursache nicht geklärten Fiebers sowie Schmerzen von dem Kinderarzt N in die Kinderklinik des C- Krankenhauses in T eingewiesen. Dort wurde die Aufnahmediagnose „fieberhafter Infekt, Obstipation und Erbrechen“ bei schon seit 14 Tagen auftretenden Fieberschüben unter antimikrobieller Therapie mit zunehmender Müdigkeit gestellt. Klinische Anzeichen einer Meningitis wurden nicht festgestellt. Fragen zu etwaigen Ansteckungsmöglichkeiten erfolgten bei der Aufnahme nicht. Ein Impfstatus des nicht gegen Tuberkulose geimpften Klägers wurde ebenso wenig vermerkt. Die antibiotische Therapie wurde zunächst nicht fortgeführt. Am 23.05.2004 beschrieb die Mutter des Klägers eine auffällige Augenstellung bei ihrem Kind, welche nach einer Untersuchung seitens der behandelnden Ärzte indessen nicht festgestellt werden konnte. Es wurden eine mikrobiologische Stuhluntersuchung und ein Tuberkulose-Hauttest veranlasst. Unter dem 24.05.2004 bestand eine – nach den Feststellungen des Sachverständigen sogar schon für den 21.05.2005 dokumentierte – gewisse Nackensteifigkeit. Deshalb wurde eine Lumbalpunktion veranlasst, deren Ergebnis zwischen den Parteien streitig ist. Der Kläger erhielt eine Chemotherapie gegen Meningitis und Enzephalitis mit Cefotaxim und Aziclovir. Unter dem 25.05.2004 wurde eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Auch das Ergebnis dieser Untersuchung ist zwischen den Parteien streitig. Am 26.05.2004 kam es zu ersten Krampfanfällen des Klägers. Der am 24.05.2004 angelegte Tuberkulin-Hauttest erwies sich am 26.05.2004 als positiv. Nachdem sich in der Folgezeit der Zustand des Klägers verschlechtert hatte und sich eine erhebliche Pupillendifferenz ohne sichere Reaktion auf Licht eingestellt hatte, wurde am 27.05.2004 eine CT-Untersuchung veranlasst, die deutlich erweiterte Ventrikel als Ausdruck erhöhter Hirndrucke zeigte. Daraufhin wurde der Kläger zur neurochirugischen Behandlung in die Kinderklinik des V-klinikums B verlegt. Hier wurde im Hinblick auf die Möglichkeit einer tuberkulösen Meningitis eine Kombinationsbehandlung mit vier Medikamenten eingeleitet und ein Shunt zur Hirndruckreduktion angelegt. Die Behandlung im V-klinikum dauerte bis zum 22.07.2004. Im Anschluss daran wurde der Kläger in eine neuropädiatrische Rehabilitationsklinik verlegt. Es folgten diverse weitere umfangreiche Behandlungen.

 

Der Kläger leidet nunmehr an einer schweren Mehrfachbehinderung infolge schwerer cerebraler Schädigung mit rechtsbetonter spastischer Tetraplegie, einer Oculomotoriusparese, therapieresistenten Krampfanfällen und schweren Bewusstseinsstörungen mit vegetativer Dysregulation. Er befindet sich motorisch auf dem Entwicklungsstand eines drei bis vier Monate alten Kindes und ist in erheblichem Umfang pflegebedürftig. Wegen der Einzelheiten der Schäden und des geistigen und körperlichen Zustandes des Klägers wird auf den physiotherapeutischen Bericht der D Integrativen Kindertagesstätte vom 09.01.2008 (Bl. 11 ff. d.A.) sowie die zahlreichen Arztbriefe der Kinderklinik und des Sozialpädiatrischen Zentrums der Beklagten (Bl. 118 ff. d.A.) Bezug genommen.

 

Auf Antrag des Klägers vom 22.12.2008 erstattete die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammer M unter dem 23.09.2009 ein Gutachten. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass eine verzögerte Diagnosestellung infolge unzureichender Anamneseerhebung über Infektionsquellen vorliege. Nachdem aufgrund des Liquorbefundes und des positiven Tine-Tests mit Verzögerung die Diagnose einer tuberkulösen Meningoencephalitis gestellt worden sei, sei weiter behandlungsfehlerhaft nicht eine tuberkulostatische Kombinationstherapie eingeleitet, sondern eine wirkungslose Behandlung mit Antibiotikum und Virostatikum erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in Kopie als Anlage zur Klageschrift gereichte Gutachten (Bl. 15 ff. d.A.) verwiesen.

 

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 25.09.2009 forderte der Kläger die Beklagte über ihre Haftpflichtversicherung unter Fristsetzung zum 16.10.2009 erfolglos auf, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen und einen Schmerzensgeldmindestbetrag von 350.000,- € zu zahlen.

 

Der Kläger behauptet, die Behandlung in der Kinderklinik der Beklagten sei in mehrfacher Hinsicht grob fehlerhaft gewesen. Bereits bei der Anamneseerhebung sei es trotz des seit 13 Tagen anhaltenden Fiebers pflichtwidrig versäumt worden, nach Ansteckungsmöglichkeiten zu fragen. So sei auch eine hier bedeutsame Information nicht erhoben worden, dass nämlich bei zwei Familienmitgliedern des Klägers eine frühere Tuberkulose-Erkrankung bekannt gewesen sei. Zudem sei der Impfstatus nicht vermerkt worden. Diese Versäumnisse hätten zu einer Verzögerung der Diagnosestellung geführt. Auch die weiteren maßgeblichen diagnostischen Maßnahmen, der Tuberkulosetest und die Lumbalpunktion, seien erst am vierten Tag nach der Aufnahme und damit zu spät erfolgt. Obwohl die Liquorentnahme am 24.05.2004 einen erhöhten Eiweiß- und einen erniedrigten Glucosequotienten, das am 25.04.2004 durchgeführte MRT eine Ventrikelerweiterung ergeben hätten, es am 26.05.2004 bereits zu ersten Krampfanfällen gekommen sei und der Tuberkulintest positiv gewesen sei, hätten die behandelnden Ärzte der Beklagten es bis zur Verlegung des Kindes in das Universitätsklinikum versäumt, die erforderliche tuberkulostatische Behandlung einzuleiten und den Hirndruck zu senken.

 

Der Kläger ist der Ansicht, das ärztliche Fehlverhalten sowie das Ausmaß der erlittenen Folgen rechtfertigten die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 350.000,- €.

 

Seine Ansprüche seien auch nicht verjährt. Die Eltern hätten sich nach Eintritt der schweren Erkrankung und des damit verbundenen Schicksalsschlags zunächst nicht damit beschäftigt, inwiefern die Gesundheitsschäden des Kindes hätten vermieden werden können. Es sei ihnen gelegentlich in Gesprächen ein vager Verdacht ohne konkrete Anhaltspunkte gekommen, dass die schweren Schäden vielleicht bei besserer Betreuung hätten vermieden werden können. Im Frühjahr 2008 hätten sie anlässlich einer mit ihm durchgeführten „Delphin-Therapie“ eine andere Familie mit einem ähnlich geschädigten Kind kennengelernt, die ihnen geraten und sie ermutigt habe, die Behandlungsunterlagen anzufordern und ggf. einen Anwalt aufzusuchen. Nach Rückkehr von der Reise hätten seine gesetzlichen Vertreter die Unterlagen angefordert, bei Durchsicht des übersandten Arztbriefes den Eindruck gewonnen, als seien einige Angaben darin unrichtig und sich im August 2008 an den Prozessbevollmächtigten gewandt. Erst die Überprüfung der sodann weiter angeforderten Unterlagen durch den Prozessbevollmächtigten, die sich bis zum Oktober 2008 hingezogen habe, habe konkrete Verdachtsmomente für das Vorliegen von Behandlungsfehlern ergeben.

 

Der Kläger beantragt,

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 350.000,- €, dessen Höhe im Übrigen in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2009 zu zahlen;

 

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm im Zusammenhang mit der stationären Behandlung im C- Krankenhaus in T in der Zeit vom 19.05. bis zum 27.05.2004 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

 

Sie bestreitet ferner das Vorliegen von Behandlungsfehlern. Dem Gutachten der Gutachterkommission, das im Übrigen entgegen § 3 der Satzung erstattet worden sei, obschon der behauptete Behandlungsfehler nämlich fünf Jahre zurückgelegen habe, seien keine schweren oder groben Behandlungsfehler zu entnehmen. Außerdem sei dieses Gutachten einseitig und ohne den behandelnden Ärzten der Beklagten rechtliches Gehör zu gewähren verfasst worden.

 

Es handle sich bei der tuberkulösen Meningitis um eine sehr seltene Krankheit mit unspezifischen Symptomen. Die Lumbalpunktion habe keine Eiweißerhöhung im Liquor oder eine Pleozytose aufgezeigt. Die MRT-Untersuchung habe ebenfalls keine Auffälligkeiten ergeben. Selbst wenn man einen Tag früher mit der tuberkulostatischen Therapie begonnen hätte, hätte dies nicht zu einer Prognoseverbesserung geführt.

 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie durch mündliche Erläuterung desselben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Privatdozent Dr. M1-X vom 08.03.2011 (Bl. 181 ff. d.A.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 05.10.2011 (Bl. 241 ff. d.A.) verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Klage ist begründet.

 

Der Kläger hat Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie Feststellung der Einstandspflicht wegen der Beklagten zurechenbarer Verletzungen der Pflichten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag (§ 280 Abs. 1, §§ 278, 611 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB) bzw. aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 831 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB) anlässlich seiner stationären Behandlung in der Kinderklinik der Beklagten vom 19. bis zum 27.05.2004.

 

1.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass den in der Kinderklinik des C- Krankenhauses in T tätigen, den Kläger behandelnden Ärzten mehrere teils grobe Behandlungsfehler unterlaufen sind, und zwar in einer nicht alltäglichen Häufung und von einem ebenso wenig gewöhnlichen Gewicht.

 

a)
In seinem nachvollziehbar und ebenso widerspruchsfrei wie umfassend begründeten, daher sowohl im Einzelnen als auch insgesamt überzeugenden schriftlichen Gutachten ist der gerichtlich bestellte Sachverständige Privatdozent Dr. M1.-X zunächst zu dem Ergebnis gelangt, die Anamneseerhebung bei Aufnahme des Klägers am 19.05.2004 sei unzureichend gewesen in Bezug auf Infektionskrankheiten und Ansteckungsmöglichkeiten. Aufgrund der erhöhten Tuberkulose-Inzidenz bei Kindern nicht-deutscher Herkunft, wegen der türkischen Herkunft des Klägers sowie mit Rücksicht auf eine ungeklärte Krankheitsanamnese über 13 Tage hinweg sei die für eine Diagnosestellung wegweisende Frage nach einer gegebenenfalls vorhandenen Tuberkulose-Erkrankung in der Familie des Klägers unbedingt erforderlich gewesen. So sehe der Anamnesebogen des Krankenhauses der Beklagten die Abfrage von Infektionskrankheiten einschließlich der Tuberkulose auch ausdrücklich vor.

 

In seiner Anhörung hat der Sachverständige ergänzend erläutert, dass eine Infektionsanamnese bei einem fiebernden Kind dem medizinischen Standard entspreche und der aufnehmende Arzt sich keineswegs auf die Einweisungsdiagnose verlassen könne. Das gelte hier auch mit Rücksicht auf die konkreten Umstände.

 

b)
Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass darüber hinaus die zur Abklärung erforderlichen Befunde, so die Lumbalpunktion, verspätet, nämlich erst am 24.05.2004 erhoben worden seien. Das habe zur Folge gehabt, dass die zutreffende Diagnose erst später habe gestellt werden können und die geeignete Therapie erst später habe eingeleitet werden können. In den Unterlagen der Beklagten seien – wie der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung durch erneute Einsicht in die Behandlungsunterlagen der Beklagten festgestellt hat – eine endgradige Nackensteifigkeit und erneut rezidivierende Fieberschübe am 21.05.2004 sowie eine auffällige Augenstellung am 22. und 23.05.2004 dokumentiert worden. Angesichts des Krankheits- und Behandlungsverlaufs während der stationären Behandlung sowie der Symptome des Klägers habe die Lumbalpunktion als wegweisendes diagnostisches Mittel bereits am 21.05.2004 (endgradige Nackensteifigkeit), spätestens aber am 22.05.2004 (Augenverdrehen) durchgeführt werden müssen.

 

Ergänzend hat der Sachverständige in seiner mündlichen Erläuterung ausgeführt, dass es unter Berücksichtigung der hier geltenden fachärztlichen Sorgfaltsmaßstäbe und Standards nur bis spätestens zum Auftreten der ersten neurologischen Symptome in Form etwa der Nackensteifigkeit am 21.05.2004 nachvollziehbar sei, sich auf abdominelle Symptome zu konzentrieren.

 

c)
Der Sachverständige hat weiter in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass auch bei dem (späten) Eintreffen der Befunde nicht die aus fachärztlicher Sicht dringend erforderlichen Schlüsse gezogen worden seien. So sei der Liquorbefund vom 24.05.2004 pathologisch und reaktionspflichtig gewesen, weil der Eiweißgehalt mäßig erhöht, die Glucosekonzentration stark erniedrigt und der Laktatwert wiederum deutlich erhöht gewesen seien. Die danach bestehende Befundkonstellation habe den dringenden Verdacht auf eine tuberkulöse Meningitis ergeben und eine unmittelbare Behandlungsindikation zur tuberkulostatischen Therapie dargestellt. Die am 24.05.2004 angeordnete Therapie mit Cefotaxim und Aciclovir habe jedoch keinen tuberkulostatischen Effekt gehabt. Nach Erhalt des pathologischen Liquorbefundes habe die begonnene Therapie mit Cefotaxim und Aciclovir umgehend um eine tuberkulostatische Therapie erweitert werden müssen, weil am selben Tag an Tuberkulose gedacht worden sei. Letzteres ergebe sich aus dem dokumentierten und angelegten Tuberkulose-Hauttest.

 

d)
Nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer in jeder Hinsicht anschließt, liegt ein weiterer Behandlungsfehler darin, dass selbst nach Erhalt des hochpositiven Ergebnisses des Tuberkulintests am 26.05.2004, also nach zwei weiteren Tagen, keine geeignete Therapie gegen eine tuberkulöse Meningitis eingeleitet wurde.

 

2.
Diese Verstöße gegen fachmedizinische Standards und bewährte ärztliche Behandlungsregeln sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in mehrfacher Hinsicht objektiv nicht mehr nachvollziehbar und unverständlich. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch anlässlich der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens gibt es keine nachvollziehbaren Gründe für die vorgenannten Fehler und hätten einem (Fach-)Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.

 

Die Kammer schließt sich dem an und bejaht dementsprechend eine der Beklagten zuzurechnende Häufung von groben Behandlungsfehlern. Im Einzelnen:

 

a)
In Kenntnis der Definition des ihm bereits mit dem Beweisbeschluss mitgeteilten und mündlich nochmals erläuterten Begriffs des groben Behandlungsfehlers hat der Sachverständige nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass es nicht nachvollziehbar und deshalb grob behandlungsfehlerhaft sei, dass hier von dem behandelnden Ärzten angesichts des allgemein naheliegenden und konkret auch gefassten Verdachts auf eine tuberkulöse Meningitis bei dem Kind nicht umgehend eine tuberkulostatische Therapie eingeleitet worden sei. Angesichts des verdächtigen Liquorbefundes vom 24.05.2004 habe die Behandlung sofort erfolgen müssen. Es handle sich bei der Stellung der Verdachtsdiagnose einer bakteriellen oder viralen Meningitis nach der Interpretation des Liquorbefundes um einen fundamentalen Diagnoseirrtum, weil die im Vordergrund stehende Verdachtsdiagnose einer tuberkulösen Meningitis nicht beachtet worden sei. Sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei erneuter Befragung anlässlich der mündlichen Erläuterung hat der Sachverständige keinerlei plausiblen Gründe sowohl für die Verkennung der zutreffenden (Verdachts-)Diagnose als auch für das daraus folgende Nichteinleiten der erforderlichen Therapie erkennen können. Er hat dabei auch das Vorbringen der Beklagten berücksichtigt und diesem keine Anhaltspunkte für eine nachvollziehbare Begründung zu entnehmen vermocht.

 

b)
Im Rahmen der mündlichen Erläuterung hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, dass er die unzureichende Anamneseerhebung im Hinblick auf die u.a. familiären Ansteckungsmöglichkeiten sowie die verspätet durchgeführte Lumbalpunktion aufgrund der neurologischen Auffälligkeiten und des Fiebers, welche er in seinem schriftlichen Gutachten als mehrere einfache Behandlungsfehler bewertet hat, in der Zusammenschau als unter Berücksichtigung der hier geltenden fachärztlichen Maßstäbe schlechterdings nicht nachvollziehbar und deshalb grob behandlungsfehlerhaft ansehe. Selbst in Kenntnis der Stellungnahme der Beklagten konnte der Sachverständige auch keinerlei Gründe für das Verhalten der behandelnden Ärzte erkennen. Die Versäumnisse erscheinen danach nicht mehr verständlich und sind grob fehlerhaft.

 

c)
Diesen überzeugenden und nachvollziehbaren Einschätzungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer aufgrund der ohne weiteres nachvollziehbaren Erwägungen des Sachverständigen zur Begründung und nach eigener kritischer Würdigung uneingeschränkt an. Die Kammer vermag auch nach Hinzuziehung des Sachverständigen und unter Rückgriff auf seine Sachkunde nicht nachzuvollziehen, wie in einer spezialisierten Klinik eine derartige Häufung aus objektiver Sicht nicht mehr verständlicher Abweichungen vom fachmedizinischen Standards hat geschehen können, zumal die Beklagte selbst keinerlei plausiblen Gründe für das Geschehen während der stationären Behandlung des Klägers in ihrer Kinderklinik dargetan hat.

 

Die gutachterlichen Feststellung des Sachverständigen hinsichtlich der Frage des Vorliegens von Behandlungsfehlern finden ihre Bestätigung in dem seitens der Gutachterkommission veranlassten Gutachten vom 23.09.2009, gegen welches die Beklagte – über verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte hinaus – keine inhaltlich ernsthaft durchgreifende Argumente vorzubringen vermocht hat.

 

3.
a)
Zu den auf den groben Behandlungsfehlern beruhenden Folgen und dem Ursachenzusammenhang hat der Sachverständige überzeugend festgestellt, dass der Kläger sich zum Aufnahmezeitpunkt in Phase I-II des Stadiums der tuberkulösen Meningitis befunden habe. Je früher mit der geeigneten Therapie begonnen worden wäre, desto wahrscheinlicher hätte der Beginn der Phase II verhindert und hätte das Ausmaß der verbleibenden Behinderung vermieden werden können. Mit der Therapie sei hier jedoch erst in einem so weit fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung begonnen worden, dass eine vollständige Heilung nicht mehr möglich gewesen sei. Denn in dem Zeitraum des Aufenthalts des Klägers in der Kinderklinik der Beklagten habe der Übergang zum Stadium III der Erkrankung hin stattgefunden. Hätten das rechtzeitige Ergreifen der erforderlichen diagnostischen Maßnahmen und das anschließende umgehende Einleiten der richtigen Therapie auch nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur vollständigen Genesung geführt, so habe die Ausprägung der verbleibenden Behinderung hätte doch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit deutlich reduziert oder gar verhindert werden können.

 

b)
Dem Kläger kommt nach den obigen Ausführungen zum Gewicht der festgestellten Behandlungsfehler einerseits und zur Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit der anschließenden Gesundheitsschäden andererseits die mit der Annahme grober Behandlungsfehler verbundene Beweiserleichterung zugute.

 

4.
a)
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer in erster Linie die Schwere der erlittenen Schäden des Klägers, sein verletzungsbedingtes Leiden und die verbleibenden Dauerschäden berücksichtigt. Der auf den Behandlungsfehlern im Hause der Beklagten beruhende und bedrückende gesundheitliche Zustand des Klägers ergibt sich aus dem physiotherapeutischen Bericht der Integrativen Kindertagesstätte vom 09.01.2008 (Bl. 11 ff. d.A.):

 

L ist ein sensomotorisch schwer mehrfachbehindertes Kind. (…) Durch die umfangreiche Entwicklungsstörung steht L auf dem Niveau eines 3 – 4 Monate alten Kindes. Während des Kindergartenalltages sitzt L in einem Rollstuhl mit Sitzschale oder liegt (…). Er wird über eine PEG-Sonde alles zwei Stunden mit Tee versorgt. L äußert sein Wohl- und Missempfinden durch mimische Aktivität und Tönen in unterschiedlicher Tonart und Lautstärke. Er braucht bei allen Lebensbereichen die Unterstützung einer Pflegeperson. (…) L dreht [in Rückenlage] den Kopf zu beiden Seiten. Er zeigt mit der linken Hand eine Hand-Mund-Aktivität im Sinne der Berührung (…). Er kann seine Körperlage nicht selbständig ändern und ist somit auf die regelmäßige Umlagerung durch Pflegepersonen angewiesen. (…) L liegt [in Bauchlage] flach auf dem Bauch. Der Kopf ist vorzugsweise nach links gedreht, die Arme liegen in einer physiologischen mittleren Beugehaltung. (…) Bei dem gelegentlichen Versuch [in Bauchlage], den Kopf zu heben, aktiviert L kurzfristig die Stützaktivität seines Schultergürtels. (…)so schwungvoll wie er den Kopf hebt, so abrupt fällt er wieder auf die Unterlage zurück. (…) Schmerzhaft eingeschränkt sind bds. die Hüftflexion und Adduktion/Außenrotation. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist (…) schmerzhaft eingeschränkt. (…) Zur Kontrakturprophylaxe trägt L am Tag und in der Nacht Unterschenkelorthesen. (…) Die zentrale Steuerung der Körpertemperatur ist bei L gestört, so dass er außergewöhnlich schnell auskühlt (…). Das erfordert eine aufmerksame Versorgung im Sinne eines kontinuierlichen Wärmens von außen. Die Belüftung der Lungen ist durch seine körperliche Inaktivität deutlich reduziert. (…) Jeder bronchiale Infekt bedeutet für L ein gesundheitliches Risiko. (…) In seinen Wachphasen zeigt L mimisch und stimmlich seine Freude und sein Bedürfnis, mit Menschen in Kontakt zu treten. Er reagiert auf die Ansprache von Kindern und Erwachsenen. (…) Körperliches Unbehagen äußert L durch Jammern und Weinen. (…)

 

Dem infolge der groben Behandlungsfehler schwer- und mehrfachbehinderten Kläger ist danach dauerhaft jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen, und dies schon seit dem Alter von zweieinhalb Jahren; Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter wird der Kläger nie bewusst erleben und seine Persönlichkeit nie altersentsprechend entwickeln können. Der Kläger ist Zeit seines Lebens in ganz erheblichem Umfang pflegebedürftig und muss sich aufgrund der erlittenen Schäden außerdem in regelmäßigen Abständen gravierenden stationären Behandlungsmaßnahmen, teils sogar operativen Eingriffen unterziehen.

 

b)
Schmerzensgelderhöhend hat die Kammer das in zeitlicher Hinsicht zögerliche und in inhaltlicher Hinsicht bedenkliche Regulierungsverhalten der Beklagten bzw. des hinter ihr stehenden Haftpflichtversicherers berücksichtigt. Obschon das im September 2009 vorliegende Gutachten der Gutachterkommission zu einem klaren Ergebnis gelangt ist und die Beklagte dies aufgrund ihrer Sachkunde sehr wohl selbst richtig einzuschätzen wissen musste, hat die Beklagte bzw. hat der hinter ihr stehende Haftpflichtversicherer dies nicht zum Anlass genommen, die seitens des Klägers zur Recht geltend gemachten Ansprüche auch dem Grunde nach anzuerkennen oder, was auch sehr nahe lag, zumindest teilweise schon zu regulieren. Von ernsthaften fachlichen Bedenken der Beklagten gegen das Gutachten im außergerichtlichen Verfahren kann die Kammer dabei nicht ausgehen. So erschöpfen sich selbst die gegen das Gutachten der Gutachterkommission im Gerichtsverfahren erhobenen sachlichen Einwendungen der Beklagten unter Berücksichtigung des nunmehr feststehenden Ergebnisses der Beweisaufnahme in bloßen Oberflächlichkeiten und kann von einer eingehenden Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen nach Behandlungsfehlern und ihren Folgen nicht die Rede sein. Die primär geltend gemachten verfahrensrechtlichen Einwendungen erweisen sich gar als offensichtlich ungerechtfertigt: Der gerügte Verstoß gegen die Satzung der Gutachterkommission liegt ersichtlich nicht vor, denn § 3 Abs. 5 des Statuts stellt auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab, und am 22.12.2008 waren die vorgesehenen fünf Jahre seit der Behandlung noch nicht verstrichen. Das zögerliche und bedenkliche Regulierungsverhalten der Beklagten hat im Rechtsstreit insofern seine Fortsetzung gefunden, als selbst nach Eingang des schriftlichen Sachverständigengutachtens mit seinem gerade für die sachkundige Beklagte eindeutigen Ergebnis eine Regulierung unterblieben ist – nicht einmal eine Teilzahlung oder ein Anerkenntnis dem Grunde nach hat stattgefunden. Vielmehr hat die Beklagte gestützt auf zwei kaum nachvollziehbare Einwendungen die mündliche Erläuterung des Sachverständigen beantragt. Die Kammer ist dem lediglich vorsorglich und wegen der in Arzthaftungssachen geltenden verstärkten Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung nachgekommen, sieht sich allerdings dadurch nicht gehindert, das mit Rücksicht auch auf den offensichtlich mangelnden Inhalt des Vorbringens der Beklagten trotz ihrer Sachkunde im Rahmen Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen. Das danach in keiner Weise nachvollziehbare Regulierungsverhalten wirkt sich auch deshalb besonders nachteilig aus, weil die Beklagte eine Fachklinik für Pädiatrie betreibt und deshalb den Sachverhalt aus eigener Sachkunde ohne weiteres zu beurteilen vermochte. Angesichts der Feststellungen des Sachverständigen zur Häufung der Fehler im vorliegenden Fall und zur Schwere derselben ist die Kammer davon überzeugt, dass die Beklagte bereits frühzeitig erkannt hat, dass sie dem Kläger gegenüber zur Haftung für eine Vielzahl von gravierenden Behandlungsfehler und deren schwerwiegende gesundheitliche Folgen verpflichtet ist.

 

c)
Die Kammer hat bei der Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe im Hinblick auf die besondere Funktion des Schmerzensgeldes im Bereich der Arzthaftung über die vorstehenden Erwägungen hinaus weder die Häufung noch die Art und die Schwere der festgestellten Behandlungsfehler berücksichtigt, obgleich diese nach dem Verständnis der Kammer durchaus geeignet scheinen, den Sinn und Zweck einer Behandlung gerade in dem spezialisierten Krankenhaus der Beklagten in Frage zu stellen, jedenfalls aber ein entsprechendes Vertrauen der Eltern hier als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen haben.

 

d)
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat sich die Kammer schließlich an der Entscheidung des Landgericht Kleve vom 09.02.2005 (Az. 2 O 370/01, abgedruckt in ZfS 2005, 235) orientiert, dabei allerdings die dort zuerkannte Schmerzensgeldrente kapitalisiert und den so ermittelten Schmerzensgeldbetrag mit Rücksicht auf die seit der herangezogenen Entscheidung vergangene Zeit sowie die zwischenzeitlich eingetretene Geldentwertung interpoliert.

 

e)
Insgesamt hält die Kammer deshalb unter erneuter Würdigung sämtlicher dargestellter Bemessungskriterien ein Schmerzensgeld in Höhe von 700.000,- € für billig und angemessen.

 

4.
Die begehrten Zinsen können erst für Zeit ab dem 17.10.2009 zugesprochen werden, § 288 Abs. 1, § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 2 Ziff. 1 BGB; denn die Beklagte befindet sich aufgrund der Fristsetzung mit Schreiben vom 25.09.2006 erst seit dem oben genannten Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug.

 

5.
Weiter ist festzustellen, dass die Beklagte für sämtliche materiellen Schäden des Klägers anlässlich der Fehlbehandlung im Zeitraum vom 19.05.2004 bis zum 27.05.2004 einzustehen hat. Angesichts des gesundheitlichen Zustandes des Klägers ist es ersichtlich nicht auszuschließen, dass dieser weitere Schäden erlitten hat oder erleiden wird, die einen materiellen Ausgleich erfordern. So sind nach den obigen Feststellungen auch künftig in erheblichem Umfang Behandlungsmaßnahmen teils stationärer Art geboten.

 

6.
Den geltend gemachten Ansprüchen kann die Beklagte nicht mit Erfolg die Einrede des § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten, da weder die vertraglichen noch die deliktischen Ansprüche des Klägers aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlung im Zeitraum 19.05.2004 bis zum 27.05.2004 verjährt sind. Für den Beginn der hier maßgeblichen dreijährigen regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB kommt es gemäß § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB auf die Kenntnis der den Anspruch und die Person des Schuldners begründenden Umstände bzw. darauf an, ob der Gläubiger diese Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Bei ärztlichen Behandlungsfehlern beginnt die Verjährung erst, wenn der Patient Kenntnis von solchen Tatsachen erlangt, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der Arzt von dem medizinischen Standard abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach ärztlichem Standard erforderlich waren (BGH Urt. v. 31.10.2000, Az. VI ZR 198/99 = NJW 2001, 885). Der Kläger hat jedoch – ohne dass die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte dem in erheblicher Weise entgegengetreten ist – dargetan, dass seine Eltern erst nach Einschaltung des Prozessbevollmächtigten und Beiziehung der gesamten Unterlagen im Zeitraum August -Oktober 2008 konkrete Anhaltspunkte erlangt hätten, die auf Behandlungsfehler hindeuten würden. Ebenso wenig lässt sich unter dem Gesichtspunkt der groben Fahrlässigkeit ein früherer Verjährungsbeginn ableiten. Die grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Es müssen für den Gläubiger konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruches ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen. In Arzthaftungssachen gilt insoweit, dass der Patient nicht ohne Weiteres aus einer Verletzungshandlung, die zu einem Schaden geführt hat oder aus dem Misserfolg einer Behandlung, auf einen schuldhaften Behandlungs- oder Aufklärungsfehler zu schließen braucht. Insofern obliegt dem Patienten allein aufgrund des negativen Ausgangs einer Behandlung ohne weitere sich aufdrängende Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen zur Vermeidung der Verjährung seiner Ansprüche nicht, Maßnahmen zur Aufklärung des Behandlungsgeschehens ergreifen zu müssen, weil das Ausbleiben des Erfolgs ärztlicher Maßnahmen schicksalhaft und auf die Eigenart der Erkrankung zurückzuführen sein kann (BGH, Urt. v. 10.11.2009, Az. VI ZR 247/08 = VersR 2010, 214). Nach dem – im Übrigen unangegriffen gebliebenen – Vorbringen des Klägers, hegten seine Eltern nach der Behandlung lediglich einen vagen Verdacht, dass Behandlungsfehler unterlaufen sein könnten und der Verlauf nicht schicksalhaft gewesen sei. Erst – angestoßen durch den Kontakt zu anderen Eltern eines ähnlich geschädigten Kindes bei einer „Delphin-Therapie“ – seien sie im August 2008 dazu übergegangen, die Behandlungsunterlagen anzufordern und diese prüfen zu lassen. Dieser in den Jahren davor bestehende, bloße vage Verdacht genügt nach den o.g. Grundsätzen aber nicht. Dass die Eltern des Klägers aber schon zu einem früheren Zeitpunkt konkrete, sich aufdrängende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines behandlungsfehlerhaften Geschehens gehabt hätten, ist nicht ersichtlich und auch durch die Beklagten im Übrigen nicht dargetan.

 

7.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den § 91 Abs. 1, § 709 S. 1 und 2 ZPO.

 

Streitwert: 950.000,- €

 

(Schmerzensgeld: 700.000,- €, Feststellung: 250.000,- €)