OLG Frankfurt: Einwilligung in Katerakt-OP unwirksam wegen Aufklärungsfehler

Die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten in eine Behandlungsmaßnahme (hier eine Kateraktoperation) setzt vorauss, dass der Patient über alle möglichen Risiken und Folgen der Behandlung aufgeklärt wurde. Insbesondere bei nicht dringend erforderlichen Behandlungsmaßnahmen müssen dem Patienten nicht nur die eingriffsspezifischen Risiken dargelegt werden, sondern es muss ihm verdeutlicht werden, wie die Heilungschancen u. a. im Hinblick auf die bei ihm diagnostizierte Erkrankung sind.

 

 

OLG Frankfurt am Main
Urteil v. 29.01.2015 – 8 U 25/14

 

 

Tenor

 

Der Senat weist die Beklagte darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

 

A.
Die Berufung bietet offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

 

 

Gründe

 

I.
Der Kläger fordert von der Beklagten mit der Behauptung ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler ein Schmerzensgeld, des Weiteren nimmt er die Beklagte auf Feststellung ihrer Ersatzpflicht für materielle Schäden und für nicht vorhersehbare künftige immaterielle Schäden in Anspruch.

 

Der Kläger stellte sich aufgrund einer Überweisung des niedergelassenen Augenarztes Dr. A am …9.2010 in der Klinik der Beklagten vor, um an seinem linken Auge eine Kataraktoperation durchführen und eine Hornhautverkrümmung behandeln zu lassen. Er wies beidseits Cataracta corticonuclearis mit Speichentrübungen – links mehr als rechts – auf. Die Sehschärfe betrug mit eigener Brille rechts 0,5, links 0,4. Die von dem Kläger mitgebrachte OCT (Optische Cohärenztomographie) zeigte im Netzhautbereich des linken Auges eine beginnende Gliose. Der Wert des Astigmatismus wurde präoperativ mit – 0,75 bestimmt.

 

Der Kläger unterzeichnete am ….9.2010 einen Aufklärungsbogen über eine Katarakt – Operation.

 

Die Operation erfolgte am …10.2010. Es wurde keine torische, sondern eine sphärische monofocale Blaulichtfilterlinse eingesetzt. Am Operationstag hatte der Kläger starke Schmerzen an dem operierten Auge. Er begab sich deshalb am Abend erneut in die Klinik der Beklagten. Der behandelnde Arzt diagnostizierte eine starke Schwellung der Hornhaut sowie einen erhöhten Augendruck und ließ bis zur Normalisierung des inneren Augendruckes Kammerwasser aus der vorderen Augenkammer ab. Infolge täglicher augenärztlicher Behandlung wurden die Schmerzen gelindert. Der Kläger sah weiterhin nur verschwommen und verzerrt. Anlässlich einer zwei Wochen später durchgeführten Untersuchung stellten die Ärzte der Beklagten eine Ödembildung im Maculabereich fest. Der Wert des Astigmatismus wurde mit – 2,25 gemessen; bei diesem Wert wäre der Einsatz einer torischen Linse veranlasst gewesen. Der Kläger nahm weitere Kontrolltermine am 15.11.2010 und am 8.12.2010 wahr. Die Abweichung zwischen dem prä- und dem postoperativen Wert des Astigmatismus konnte man sich in der Klinik der Beklagten nicht erklären. Das Ödem bildete sich in der Folgezeit zurück; es verblieb ein Maculaforamen.

 

Am …1.2011 ließ der Kläger in der B-Klinik Stadt1 eine Pars – plana – Vitrektomie durchführen. Es bildete sich ein Makulaödem.

 

Der Kläger hat den ihn in der Klinik der Beklagten behandelnden Ärzten grobe Behandlungsfehler vorgeworfen.

 

Bei der Kataraktoperation sei die Horn- oder die Netzhaut verletzt worden, was Ursache der Schmerzen und der Sehschwäche sei. Des Weiteren seien präoperativ fehlerhafte Messungen zu verzeichnen; eine zum Ausgleich der Hornhautverkrümmung vereinbarte torische Linse sei deshalb nicht eingesetzt worden.

 

Seine Sehschärfe sei deutlich schlechter als vor der Operation; er könne mit dem linken Auge nur noch Umrisse erkennen, weshalb er nicht mehr selbst ein Kraftfahr-zeug führen könne. Infolge einer massiven Beeinträchtigung des räumlichen Sehens habe er im Alltag vielerlei Probleme.

 

Des Weiteren hat der Kläger Aufklärungsmängel geltend gemacht. Jedenfalls über eine mögliche Verschlechterung seines Sehvermögens infolge der Kataraktoperation nach vorbestehender Gliose sei aufzuklären gewesen. In Kenntnis dieses Risikos, das sich auch verwirklicht habe, hätte er seine Einwilligung nicht erteilt.

 

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein ihm zustehendes Schmerzensgeld sei mit 25.000– € zu bemessen. Dem geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich materieller Schäden hat er einen Haushaltsführungsschaden, Fahrkosten und Medikamentenzuzahlungen unterlegt.

 

Die Parteien haben die in dem Urteil des Landgerichts wiedergegebenen Anträge gestellt.

 

Die Beklagte hat behauptet:

 

Der Kläger sei präoperativ ausführlich über die verschiedenen Linsentypen und die Operationsrisiken, so auch über das Risiko der Schwellung der Netzhautmitte und einer Membranbildung im Sinne eines cystoiden Makulaödems aufgeklärt worden.

 

Aufgrund der präoperativ sorgfältig bestimmten Messwerte sei eine monofokale sphärische Linse indiziert gewesen. Dr. C habe dem Kläger im Hinblick auf die beginnende epiretinale Gliose am linken Auge von der Implantation einer multifokalen Linse abgeraten. Auch sei der Kläger ausführlich darüber informiert worden, dass nicht von einem Hornhaut -, sondern von einem Linsenastigmatismus auszugehen sei, welcher allein durch die Entfernung der getrübten Linse behoben werden könne. Im Übrigen sei die Wahl der Linse nicht für die Visusverschlechterung des Klägers verantwortlich.

 

Bei der vollständig und folgenlos verheilten, intraoperativen Hornhautverletzung handele es sich um ein unvermeidliches Operationsrisiko.

 

Für die Visusverschlechterung sei bei vorbestehender Gliose eine Ödembildung im Maculabereich verantwortlich, welche zu einer Netzhautverdünnung mit beginnendem Maculaforamen geführt habe.

 

Dr. C habe mit dem Kläger den fundoskopisch erkennbaren und mittels OCT dokumentierten Befund einer epiretinalen Gliose besprochen; erörtert worden sei auch, dass der Linsenaustausch bei der Kataraktoperation nicht das Krankheitsbild der Gliose beseitige, sondern dass diese Erkrankung fortschreiten könne, so dass der Visus unklar sei.

 

Die Beklagte hat sich zur Schadenshöhe eingelassen.

 

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen D nebst mündlicher Gutachtenerläuterung.

 

Es hat die Beklagte durch Urteil vom 29.1.2014 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000.- € nebst Zinsen sowie anteiliger vorgerichtlicher Kosten verurteilt und dem Feststellungsbegehren im Wesentlichen stattgegeben. Die weitergehende Klage ist abgewiesen worden. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

 

Die Beklagte verfolgt mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Berufung ihr erstinstanzliches Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Hingegen hat der Kläger Anschlussberufung eingelegt, um eine vollständige Verurteilung nach seinen erstinstanzlichen Klageanträgen zu erreichen.

 

Die Beklagte beanstandet die Feststellung des Landgerichts, ein Aufklärungsmangel liege darin, dass der Kläger nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass aufgrund des präoperativen Befundes einer Gliose eine Sehverbesserung nicht zu erwarten sei und möglicherweise durch die Kataraktoperation eine Sehverschlechterung eintreten könne. Solches ergebe sich aus dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten nicht. Vielmehr seien die Ausführungen des Sachverständigen so zu verstehen, dass durch eine Kataraktoperation das Krankheitsbild der Gliose nicht beseitigt werden und diese Erkrankung fortschreiten könne, so dass die Visusprognose unklar sei. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen, hierüber habe Dr. C den Kläger am ….9.2010 aufgeklärt. Der Zeuge Dr. C habe den Kläger auch darüber informiert, dass bei präoperativer Gliose nicht unbedingt mit einer Sehverbesserung durch die Kataraktoperation zu rechnen sei. Hingegen sei nicht darüber aufzuklären, dass die Gliose zwingend eine Verbesserung des Sehens nach Kataraktoperation verhindere; solches ergebe sich aus dem Sachverständigengutachten nicht. Vielmehr sei gerade bei einer beginnenden Gliose grundsätzlich von einer Sehverbesserung durch die Kataraktoperation auszugehen.

 

Der Sachverständige habe auch nicht einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kataraktoperation und einer Verschlechterung der Gliose festgestellt.

 

Ein Aufklärungspflicht dahin, dass nach erfolgreicher Kataraktoperation das durch eine Gliose verursachte Phänomen der „Verzerrung“ von Linien stärker hervortreten könne, bestehe nicht. Bei einer erst beginnenden Gliose stelle sich ein solcher Effekt nicht zwingend ein. Auch handele es sich nicht um eine gravierende Beeinträchtigung. Die Beklagte hält an dem bereits erstinstanzlich erhobenen Einwand einer hypothetischen Einwilligung fest. Der Kläger sei über die in dem schriftlichen Aufklärungs-bogen genannten Risiken auch mündlich aufgeklärt worden. Es sei nicht plausibel, dass er in Kenntnis des Risikos einer Sehverschlechterung bis zum Verlust der Sehfähigkeit und des Auges in die Operation eingewilligt habe, bei einem Hinweis auf eine evtl. deutlichere Wahrnehmung von Verzerrungen durch die Gliose sich den Eingriff aber überlegt haben wolle.

 

Überdies stehe nicht fest, dass es bei dem Kläger nach der Kataraktoperation tatsächlich gliosebedingt zu einem verzerrten Sehen von Linien gekommen sei und der Kläger aufgrund dessen ein Kraftfahrzeug nicht mehr führen könne. Einen Zusammenhang zwischen der nach Vitrektomie verbliebenen stark reduzierten Sehschärfe des linken Auges des Klägers und der Kataraktoperation habe das Landgericht nicht festgestellt.

 

Die Darstellung des Klägers, er habe nach der Operation nur verschwommen und verzerrt gesehen, bzw. er könne heute mit dem linken Auge nur noch Umrisse erkennen, spreche gegen die Annahme des Landgerichts, bei dem Kläger habe sich das Risiko der besseren Wahrnehmung gliosebedingter Verzerrung von Linien verwirklicht.

 

Die Beklagte beantragt,

 

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29.1.2014, AZ. 2. 04 O 470/11 die Klage insgesamt abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen;

 

auf die Anschlussberufung

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein über das Schmerzensgeld in Höhe von 8.000.- € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.1.2012 hinausgehendes angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.1.2012;

 

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung seit dem 29.9.2010 resultierenden weiteren materiellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden, soweit diese nicht bereits vom Tenor des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29.1.2014 umfasst sind, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind; 3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die nach dem RVG nicht konsumierten außergerichtlichen Kosten des Klägers bei den Prozessbevollmächtigten in Höhe von 438,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit nach den §§ 288 Abs. 1 , 291 Abs. 1 Satz 1 1. HS BGB im Wege der Nebenforderung zu zahlen;

 

vorsorglich die Revision zuzulassen,

 

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil im Umfange der Stattgabe. Das Bestehen einer Gliose sei ihm vor der Kataraktoperation nicht bekannt gewesen. Über mit der Gliose einhergehende Risiken und therapeutische Konsequenzen sei er nicht aufgeklärt, das Risiko, dass eine Verbesserung der Sehfähigkeit infolge der vorbestehenden Gliose ausbleibe, sei ihm nicht dargestellt worden.

 

Die Auswirkung des verzerrten Sehens infolge einer Gliose sei für ihn durch die Kataraktoperation, in deren Folge das Licht nunmehr barrierefrei auf die Netzhaut auftreffe, wahrnehmbar geworden. Auch hierüber habe er zwingend aufgeklärt werden müssen.

 

Das Sehen verzerrter Linien infolge einer Gliose sei ein typisches Symptom, welches eine gravierende Beeinträchtigung darstelle und die Fähigkeit zur Führung eines Kraftfahrzeugs subjektiv aufhebe.

 

Mit der erheblichen Verschlechterung der Gliose, die zur Verminderung des Visus geführt habe, habe sich das Risiko der Kataraktoperation verwirklicht. Hingegen sei die Virektomie nicht Ursache der Verringerung der Sehkraft. In Kenntnis der Bedeutung der Gliose für den Erfolg der Kataraktoperation hätte er die Vor – und Nachteile des Eingriffs abgewogen und eine Zweitmeinung eingeholt. Er hätte in jedem Fall vor der Entscheidung über die Durchführung der Operation mit dem niedergelassenen Augenarzt Dr. A gesprochen.

 

Mit der Anschlussberufung greift der Kläger Behandlungsfehlervorwürfe erneut auf.

 

Die postoperativ aufgetretene Erosio der Hornhaut sei intraoperativ verursacht worden. Die Vermutung des Sachverständigen, die Erosio der Hornhaut sei durch Reibung der Augenoberfläche an dem Verband entstanden, stehe in Widerspruch zu unmittelbar postoperativ aufgetretenen starken Schmerzen. Ein möglicherweise erhöhter Augeninnendruck, der nicht dokumentiert sei, sei als Ursache der Schmerzen auszuschließen. Die Erosion der Hornhaut führe auch häufig zu einer Verminderung des Visus. Die immensen Schmerzen durch die Erosio der Hornhaut seien in die Schmerzensgeldbemessung einzubeziehen. Des Weiteren sei die Netzhaut intraoperativ verletzt worden; so sei in dem Operationsbericht eine Injektion erwähnt, die bis in den Glaskörperraum unmittelbar vor der Netzhaut reiche. Die Beklagte habe den Beweis, dass eine solche Injektion nicht vorgenommen worden sei, nicht geführt.

 

Mangels Erklärbarkeit der Ergebnisse der präoperativen Diagnostik sei von einer fehlerhaften Handhabung bzw. Einstellung des Gerätes, mithin von einem Organisationsverschulden auszugehen. Jedenfalls sei die Ursache der Messergebnisse weiter abzuklären.

 

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes habe das Landgericht die nunmehr erhebliche Einschränkung seiner Lebensführung nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil im Umfange der Klageabweisung.

 

II.

 

a)
Die Beklagte ist dem Kläger wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten zum Ersatz immaterieller und materieller Schäden verpflichtet ist, §§ 280 Abs. 1 , 823 Abs. 1 , 253 , 249 BGB .

 

aa)
Die am 27.10.2010 am linken Auge des Klägers durchgeführte Kataraktoperation ist als Behandlungsfehler zu qualifizieren, denn er hat in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt, § 630 d BGB (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl. 2015, § 630 e Rn 13). Der Kläger hat in die Operation eingewilligt; er hat am …9.2010 einen Bogen „Katarakt – Op Dokumentation“ unterschrieben, der eine Einwilligungserklärung enthält. Nach § 630d Abs. 2 BGB setzt die Wirksamkeit der Einwilligung jedoch voraus, dass der Patient vor der Einwilligung nach Maßgabe des § 630 e Abs. 1 bis 4 BGB über alle für die Einwilligung maßgeblichen Umstände aufgeklärt worden ist. Aufklärungspflichtig sind danach u. a. zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie.

 

Aufzuklären ist somit insbesondere über die Diagnose (vgl. Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 630 e Rn 2). In den Behandlungsunterlagen der Beklagten ist unter dem ….9.2010 eine beginnende epiretinale Gliose im Makulabereich festgehalten. Demgemäß hat auch der Sachverständige im Verlauf der mündlichen Gutachtenerläuterung vor dem Landgericht bestätigt, dass eine Gliose bereits präoperativ vorgelegen habe (Prot. des LG vom 13.11.2013, S. 6). Die Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, Dr. C habe mit dem Kläger den Befund einer epiretinalen Gliose besprochen. Hingegen hat der Kläger behauptet, er habe nicht gewusst, dass eine Gliose vorliege. Eine Beweisaufnahme ist gleichwohl nicht anzuordnen.

 

Denn eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“ erfordert des Weiteren, dass dem Patienten das Gewicht des Austauschrisikos, auf das er sich mit der Therapie einlässt, zutreffend dargestellt wird. So sind dem Patienten vor allem in Fällen nicht dringlicher Indikation nicht nur die eingriffsspezifischen Risiken, sondern auch die Heilungschancen darzustellen, damit er in die Lage versetzt ist, sich für oder gegen die geplante Operation zu entscheiden (vgl. KG NJW – RR 2004, 458 ff).

 

Nach den Feststellungen des Sachverständigen kann sich eine vorbestehende Gliose, die sich in einer Herabsetzung des Visus, gegebenenfalls in verzerrtem Sehen äußert, nach einer Kataraktoperation verschlechtern (GA vom 21.11.2012, Bl. 130 d. A.), dies mit der Folge, dass nicht unbedingt mit der Verbesserung des Visus durch die Kataraktoperation gerechnet werden kann. Auch bei stabilem Befund der Gliose verhindere diese trotz einer Kataraktoperation eine Verbesserung der Sehfähigkeit (Prot. des LG vom 13.11.2014, S. 6, 7). Der Senat teilt die Auffassung des Land-gerichts, dass es sich hierbei um einen aufklärungspflichtigen Umstand handelt. Der Kläger war darüber zu informieren, welche Chancen die Operation ihm im Hinblick auf eine Verbesserung des Visus bringen konnte. Demgemäß hat auch der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens ausgeführt, er hätte den Patienten vor einer Kataraktoperation zumindest darauf hingewiesen, dass durch eine solche Operation im Hinblick auf die Möglichkeit der Verschlechterung der Gliose nicht unbedingt mit einer Verbesserung des Visus gerechnet werden könne. In den meisten Fällen bleibe der Befund der Gliose stabil, verhindere aber trotz der Kataraktoperation eine Verbesserung des Visus. Darauf sei – aus der Sicht des Sachverständigen – hinzuweisen (Prot. des LG vom 13.11.2014, S. 6, 7).

 

Die Beklagte hat erstinstanzlich nicht behauptet, den Kläger solchermaßen über die Chancen des Eingriffs für eine Verbesserung der Sehschärfe aufgeklärt zu haben. Sie hat sich auf das Zeugnis des Dr. C dafür bezogen, dass dieser dem Kläger erklärt habe, die Gliose – eine Erkrankung der Netzhaut – könne trotz Katarakt-operation fortschreiten, „so dass der Visus unklar sei“. Eine unterstellte Aufklärung des Inhalts „….so dass der Visus unklar sei“, stellte dem Kläger die Chancen der Operation nicht so hinreichend deutlich dar, dass er in die Lage versetzt war, sich für oder gegen den geplanten Eingriff zu entscheiden, die ihm erteilte Information wäre inhaltlich ungenügend. Zudem würde ein Hinweis darauf fehlen, dass die Gliose auch bei zumeist stabil bleibendem Befund eine Verbesserung der Sehschärfe verhindere.

 

Die zweitinstanzlich erstmals in Anpassung an die Erläuterungen des Sachverständigen aufgestellte Behauptung der Beklagten, Dr. C habe den Kläger darüber informiert, dass bei präoperativer Gliose nicht unbedingt mit einer Sehverbesserung durch die Kataraktoperation zu rechnen sei, ist neu und nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen, die nicht vorgetragen worden sind.

 

bb)
Der Aufklärungsmangel trägt eine Haftung der Beklagten für alle mit dem Eingriff am ….10.2010 ursächlich verbundenen Schadensfolgen.

 

1.
Einschränkungen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm ergeben sich nicht. Die Sehfähigkeit des linken Auges des Klägers hat sich postoperativ nicht nur nicht verbessert, sondern verschlechtert; sie beträgt nach Kataraktoperation und Vitrektomie nur noch 0,16 (präoperativ 0,4). Hierfür hat die Beklagte einzustehen.

 

2.
Der erforderliche Ursachenzusammenhang ist gegeben. Der Senat sieht sich gemäß § 529 Abs. 1 Ziffer 1. ZPO an die Feststellung des Landgerichts gebunden, eine Gliose könne sich durch eine Kataraktoperation verschlechtern. Das schriftlich erstattete und mündlich erläuterte Sachverständigengutachten deckt diese Bewertung des Beweisergebnisses. In dem schriftlichen Gutachten formuliert der Sachverständige zwar, eine Gliose könne sich nach einer Kataraktoperation verschlechtern. Es ergibt sich aber aus dem Zusammenhang der Ausführungen ohne weiteres, dass der Sachverständige mit dieser Formulierung die Kausalität der Kataraktoperation für die Verschlechterung einer Gliose beschreibt. Der Sachverständige führt aus, eine Gliose könne durch eine Kataraktoperation nicht entstehen (GA vom 21.11.2012, Bl. 130 d. A.; Prot. des LG vom 13.11.2013, S. 6), sie könne sich aber nach einer solchen Operation verschlechtern. Die Konjunktion „aber“ vermittelt, dass nicht eine von einer Kataraktoperation unabhängige Verschlechterung der Gliose beschrieben wird. Dies folgt auch aus der protokollierten Aussage des Sachverständigen, zu den Einzelheiten der Gliose und der Verschlechterung durch derartige Operationen, müsse er sagen, dies sei im Einzelnen noch nicht bekannt. Demgemäß hat der Sachverständige auch auf den nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen der an dem linken Auge des Klägers durchgeführten Kataraktoperation und einem etwa 2 Wochen postoperativ festgestellten Ödem im Bereich der Macula hingewiesen.

 

3.
Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen, Daten zu einer verstärkten Flüssigkeitseinlagerung in der Netzhaut infolge einer Kataraktoperation und zur Häufigkeit einer Verschlechterung der Gliose durch eine solche Operation gebe es nicht, mögen evtl. rechtlich unter dem Gesichtspunkt einer Risikoaufklärung relevant sein. Es geht hier indessen, wie dargestellt, nicht um eine Aufklärung über ein etwaiges Risiko einer Verschlechterung einer vorbestehenden Gliose, sondern um die erforderliche Aufklärung über die Erfolgsaussichten und eine Verschlechterung der Gliose als Gesundheitsschaden eines rechtswidrig durchgeführten Eingriffs.

 

4.
Der Einwand der Beklagten, eine Gliose könne sich auch unabhängig von einer Kataraktoperation verschlechtern, ist unerheblich. Dies mag sein, wäre aber von der Beklagten für den konkreten Fall unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens darzulegen und unter Beweis zu stellen.

 

5.
Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der sich durch die Kataraktoperation verschlechternden Gliose und der in der B-Klinik Stadt1 durchgeführten Vitrektomie mit der Folge eines Visus des linken Auges des Klägers von nur noch 0,16 liegt vor. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Befund der Gliose habe „am Ende“ zu der Glaskörperoperation geführt (GA vom 21.11.2012, Bl. 130 d. A.).

 

6.
Die Beklagte hat den Einwand der hypothetischen Einwilligung nicht substantiiert erhoben. Sie hat weder zur Dringlichkeit der Operation noch zu einem bei dem Kläger bestehenden Leidensdruck vorgetragen, so dass es auf einen etwaigen Entscheidungskonflikt des Klägers, dem er sich evtl. infolge ordnungsgemäßer Aufklärung ausgesetzt gesehen hätte, nicht ankommt. Überdies ist ihre Einlassung, der Kläger habe in Kenntnis der in dem Aufklärungs-bogen genannten gravierenden Risiken einer Kataraktoperation, nämlich u. a. einer Sehverschlechterung bis zum Verlust der Sehfähigkeit des Auges, in den Eingriff eingewilligt, so dass nicht plausibel sei, dass er sich den Eingriff bei einem Hinweis auf eine deutlichere Wahrnehmung von Verzerrungen infolge der Gliose überlegt haben wolle, nicht relevant. Es kann dahin stehen, ob ein Hinweis auf ein durch die Gliose bedingtes verzerrtes Sehen erforderlich war und ob eine solche Folge bei dem Kläger eingetreten ist. Der Kläger war über die Chancen des Eingriffs, also darüber aufzuklären, dass bei vorbestehender Gliose nicht unbedingt mit einer Sehverbesserung gerechnet werden könne. Dieser konkrete Befund war abzuwägen mit möglichen, auch gravierenden Risiken. Weshalb der Kläger diese Risiken ohne tragfähige Aussicht auf eine Sehverbesserung in der konkreten Situation in Kauf genommen hätte, ist nicht einsichtig.

 

cc)
Die Höhe des dem Kläger vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes ist im Hinblick auf die erhebliche Verschlechterung des Visus seines linken Auges mit den nach dem Maßstab des § 287 ZPO einzuschätzenden Folgen für seine alltägliche Lebensführung nicht zu beanstanden.

 

b)
Der in zulässiger Weise gestellte Feststellungsantrag ist begründet. Die sachlich- rechtlichen Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs liegen vor; die Beklagten haben haftungsrechtlich relevant in ein deliktsrechtlich absolut geschütztes Rechtsgut des Klägers eingegriffen, was zu weiteren Schäden führen kann. c) Im Falle der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss verliert die Anschlussberufung ihre Wirkung, § 524 Abs. 4 ZPO .

 

B.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und dass eine mündliche Verhandlung geboten ist.

 

Gelegenheit zu etwaiger Stellungnahme – auch zu dem nachfolgend dargestellten Streitwert – besteht bis zum 25.2.2015.

 

Der Streitwert wird – gemäß § 63 Abs. 3 Ziffer 2. GKG in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom 14.2.2014 – für den ersten und den zweiten Rechtszug auf 41.567,20 € festzusetzen sein.

 

Davon entfallen auf den Leistungsantrag 25.000.- € und auf den Feststellungsantrag – wie von dem Kläger berechnet – 16.567,20 €. Weitere Leistungsanträge hat er trotz seiner Berechnungen auf S. 9 der Klageschrift, weder angekündigt noch gestellt.

 

Der Wert der Berufung dürfte 24.567,20 € betragen (8.000.-€ Schmerzensgeld und Feststellung), der der Anschlussberufung 17.000.- € (weiteres Schmerzensgeld); mit der Anschlussberufung begehrte Abänderungen des Tenors zur Feststellung sind marginaler, redaktioneller Natur und nicht gesondert zu bewerten.

 

 

Quelle: Entscheidungsdatenbank Hessen