OLG Köln: Grober Behandlungsfehler wegen unterlassener Vorsorgeaufklärung bei Risikopatienten

Für Risikogruppen, zu denen der Kläger aufgrund der Erkrankung seiner Mutter mit einem 2-3-fach erhöhten Risiko zähle, werde eine frühzeitige Vorsorgekoloskopie empfohlen und zwar spätestens im Alter von 50 Jahren. Eine Beratung über die Screeningmethoden sei danach unerlässlich.

 

 

OLG Köln

Urteil v. 06.08.2014 – 5 U 137/13

 

 

Tenor

 

Die Berufung des Beklagten gegen das am 2.10.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen – 11 O 480/11 – wird zurückgewiesen.

 

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das am 2.10.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen – 11 O 480/11 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

 

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 158.270,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 103.123,63 EUR seit dem 24.9.2011, aus weiteren 3335,38 EUR seit dem 27.3.2013 und aus weiteren 51.811,79 EUR seit dem 13.3.2014 zu zahlen.

 

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.440,69 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.9.2011 zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen und allen noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus der ärztlichen Falschberatung vom 11.5.2009 und vom 15.5.2009 entstanden ist oder noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die weitergehende Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Beklagten auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 28% dem Kläger, zu 72% dem Beklagten auferlegt.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

I.
Der am 28.xx.1952 geborene Kläger befand sich seit mehreren Jahren in der ärztlichen Betreuung durch den Beklagten, einen niedergelassenen Internisten und Allgemeinmediziner. Er suchte am 11.5.2009 und am 15.5.2009 die Praxisräume des Beklagten auf, um eine allgemeine Gesundheitsüberprüfung durchführen zu lassen, die – wie in erster Instanz unstreitig geworden ist – auch eine Krebsvorsorge umfasste. Hierzu nahm der Beklagte einen Hämokult- und einen Bluttest vor, eine Sonographie von Nieren und Prostata und eine EKG-Untersuchung. Im Rahmen der familiären Anamnese notierte der Beklagte in seiner Behandlungskarte, dass die Mutter des Klägers an Darmkrebs erkrankt gewesen sei. Der Kläger teilte ferner mit, dass die Mutter daran verstorben sei. Ob im Hinblick auf ein Darmkrebsrisiko über weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten (insbesondere über eine Koloskopie) gesprochen wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Der Hämokulttest blieb ebenso wie die weiteren Untersuchungen ohne relevanten Befund.

 

Am 17.11.2010 unterzog sich der Kläger auf eigene Initiative einer Koloskopie im Universitätsklinikum B. Dabei wurde ein sechs Zentimeter großes Adenokarzinom im Bereich des rektosigmoidalen Übergangs diagnostiziert und im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 29.11.2010 bis zum 7.12.2010 entfernt. Fünf Lymphknoten waren befallen. Bis zum 10.6.2011 folgten acht Zyklen Chemotherapie. Gleichwohl bildeten sich Metastasen in der Lunge, was einen weiteren stationären Aufenthalt vom 20.7. bis zum 28.7.2011 und eine Unterlappen-Teilresektion sowie eine weitere Lungenoperation mit Krankenhausaufenthalt vom 10.11.2011 bis 13.11.2011 nach sich zog. Wegen Metastasen in der Leber wurden eine Teilresektion der Leber und die Entfernung der Galle im Rahmen eines weiteren stationären Aufenthaltes vom 7.2.2012 bis zum 18.2.2012 erforderlich. Wegen der Einzelheiten der mit den Eingriffen verbundenen Komplikationen und – auch dauerhaften – Folgen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und auf die eingereichten Krankenunterlagen Bezug genommen.

 

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihn über die nach den Krebsvorsorgerichtlinien empfohlene und für ihn wegen familiärer Vorbelastung sogar dringend angeratene Vorsorgekoloskopie nicht aufgeklärt, worin ein grober Fehler zu sehen sei. Einem entsprechenden Rat wäre er ohne weiteres gefolgt, zumal nicht nur seine Mutter sondern auch – unstreitig – seine Ehefrau an Krebs verstorben seien. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass er im Folgejahr sich auf eigenes Betreiben einer solchen Maßnahme unterzogen habe vor dem Hintergrund bloßer abklärungsbedürftiger Blähungen. Eine Koloskopie hätte dazu geführt, dass der Krebs sich noch in einem wesentlich früheren Stadium befunden hätte, vermutlich sich sogar nur Polypen als Vorstufe zu einem Karzinom gezeigt hätten, die ohne weiteres hätten abgetragen werden können, so dass weitere Operationen nicht erforderlich gewesen wären, erst recht aber der Krebs die Darmwand noch nicht durchwachsen gehabt hätte und Metastasen sicher hätten vermieden werden können.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das aber einen Betrag von 100.000 EUR nicht unterschreiten sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24.09.2011;

 

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Behandlungskosten in Höhe von 6540,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus einem Betrag in Höhe von 3123,63 EUR seit dem 24.09.2011 sowie aus einem Betrag in Höhe von 3416,38 EUR seit dem 27.03.2013 zu zahlen;

 

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2440,69 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24.09.2011 zu zahlen;

 

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus der ärztlichen Falschberatung vom 11.05.2009 und vom 15.05.2009 entstanden ist oder noch entsteht, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er hat behauptet, den Kläger im Rahmen der Behandlung vom 15.5.2009 über die Möglichkeit einer Darmspiegelung aufgeklärt zu haben. Dies sei gewesen, während er den Kläger auf der Liege sonographisch untersucht habe. Er habe diese Maßnahme als sinnvoll bezeichnet, allerdings keine Überweisung ausgestellt und – entgegen sonstiger Gepflogenheiten – den Rat auch nicht dokumentiert. Wie der Kläger auf den Rat reagiert habe, könne er nicht mehr erinnern. Er habe den Eindruck gehabt, der Kläger werde es sich überlegen. Er hat allerdings die Auffassung vertreten, ein Rat zur Durchführung einer Koloskopie sei nicht notwendig gewesen. Ein erteilter Rat sei auch nicht dokumentationspflichtig. Der Kläger sei ohnehin voraufgeklärt gewesen, weil er von sich aus später eine Koloskopie habe durchführen lassen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf das angefochtene Urteil verwiesen.

 

Die Kammer hat nach Einholung eines Gutachtens und Anhörung der Parteien den Beklagten zur Zahlung von 100.000.- EUR Schmerzensgeld und von Behandlungskosten verurteilt und den Feststellungsanträgen entsprochen. Es sei grob fehlerhaft gewesen, den Kläger nicht darauf hinzuweisen, dass in seinem Fall die Koloskopie angezeigt gewesen sei, wobei sich die Kammer auf die mündliche Erläuterung des Sachverständigen Prof. Dr. I stützt, der – anders als im schriftlichen Gutachten – einen groben Fehler bejaht hat. Dass der Beklagte den Kläger auf diese Möglichkeit hingewiesen habe, hat die Kammer für nicht erwiesen erachtet, weil es nicht dokumentiert, wohl aber dokumentationspflichtig gewesen sei. Damit gingen alle Kausalitätszweifel zu Lasten des Beklagten.

 

Hiergegen wendet sich der Beklagte im Rahmen der Berufung mit dem unverändert verfolgten Ziel der Klageabweisung. Eine Koloskopie sei beim Kläger nicht indiziert gewesen, könne also nicht Gegenstand von Hinweispflichten sein. Eine Koloskopie könne schwerwiegende Verletzungen verursachen, weshalb sie zurückhaltend anzuwenden sei. Tatsächlich würden nach neuesten Erhebungen rund 95 % aller Ärzte sie nicht machen. Der Kläger sei ferner nicht hinweisbedürftig gewesen. Er habe selbst eine Koloskopie anderthalb Jahre später vornehmen lassen, sei also über diese Möglichkeit unterrichtet gewesen, was nur durch den Beklagten erfolgt sein könne. Die Kammer habe die umfangreiche und tadellose Befunderhebung durch den Beklagten nicht gewürdigt. Danach habe sich der Kläger als rundum gesund herausgestellt. Für weitergehende invasive Diagnostik habe es keine Veranlassung gegeben. Allenfalls hätte ganz allgemein und abstrakt auf die Möglichkeiten einer solchen weiteren Diagnostik hingewiesen werden können, verbunden mit dem Hinweis, sie besser zu lassen. Die Vorbelastung der Mutter habe mit dem Kläger nichts zu tun. Die Mutter sei über 80 Jahre alt gewesen, als sie an Darmkrebs gestorben sei, der Kläger sei zum Zeitpunkt der streitigen Behandlung erst 56 Jahre alt gewesen.

 

Keinesfalls könne der Fehler als grob eingestuft werden. Auch hier müsse auf die ansonsten klinische Unauffälligkeit des Klägers abgestellt werden, was ein karzinogenes Geschehen als fernliegend habe erscheinen lassen. In jedem Fall habe der Kläger den Vollbeweis zu führen, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine Koloskopie auch habe durchführen lassen. Selbst wenn man unterstelle, dass er sich „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte, so sei hier richtig gewesen, eine Koloskopie zu unterlassen. Es sei angesichts des kurzen Zeitraums von Mai 2009 bis November 2010 äußerst unwahrscheinlich, dass der Kläger völlig gesund geworden wäre, wenn er eine Koloskopie bereits im Mai 2009 vorgenommen hätte. Jedenfalls die Erstoperation und eine weitere umfassende Therapie wären notwendig geworden, was sich auch auf das Schmerzensgeld auswirken müsse.

 

Der erteilte Hinweis habe nicht dokumentiert werden müssen. Die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung hierfür aufgestellt habe, lägen ersichtlich nicht vor: der Kläger habe keine dringend notwendige Maßnahme verweigert und ein Nachbehandler habe keine Konsequenzen zu ziehen, wenn ein allgemeiner Rat nicht erteilt worden sei, den ein Patient jedem Informationsblatt entnehmen könne.

 

Der Kläger begehrt im Wege der Anschlussberufung ein um 150.000.- EUR höheres Schmerzensgeld. Auch wenn die zuerkannten 100.000.- EUR seiner Mindestvorstellung entsprochen hätten, seien angesichts der gesundheitlichen Entwicklungen bereits während der ersten Instanz tatsächlich jedenfalls 200.000.- EUR angemessen gewesen. Es habe weitere gravierende Verschlechterungen seit Erlass des landgerichtlichen Urteils gegeben (Wegen dieser wird auf die Anschlussberufungsschrift des Klägers Bezug genommen), so dass ein weiteres Schmerzensgeld von 50.000.- EUR angemessen sei, was im Wege der Klageerhöhung geltend gemacht werde. Hinzu kämen weitere 1.811,79 EUR Behandlungskosten (Eigenanteile).

 

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

II.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Die Anschlussberufung des Klägers, mit der er im Rahmen einer als sachdienlich anzusehenden Klageerweiterung (§ 533 ZPO) weiteren materiellen Schaden geltend macht und ein höheres Schmerzensgeld begehrt, ist ebenfalls zulässig. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg, die Anschlussberufung hat teilweise Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, die der Senat sich durchweg zu eigen macht, hat die Kammer den Beklagten wegen einer fehlerhaften Behandlung des Klägers zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt bzw. die diesbezügliche Verpflichtung festgestellt. Auf die Anschlussberufung war eine Anhebung des Schmerzensgeldes um 50.000.- EUR und eine Verurteilung zu weitergehendem Schadensersatz veranlasst.

 

Im Einzelnen gilt folgendes:

 

1.
Zu Recht hat die Kammer das Vorliegen eines – sogar groben – Behandlungsfehlers durch den Beklagten festgestellt.

 

a)
Ein unterbliebener Hinweis auf eine für den Patienten indizierte Behandlung oder – wie hier – auf eine notwendige diagnostische Abklärung stellt sich als Behandlungsfehler in Form verletzter Sicherheitsaufklärung dar. Es gehört zu den Behandlungspflichten eines Arztes, einem Patienten die notwendigen therapeutischen Sicherheitshinweise zu erteilen. Dazu zählen die zur Sicherstellung eines Behandlungserfolgs notwendigen Schutz- und Warnhinweise, aber auch die Hinweise, die zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdung dienen (std. Rechtsprechung, etwa BGHZ 107, 222; BGHZ 126, 386 ff.). Im Falle einer vom Patienten gewünschten Vorsorgeuntersuchung gehört es zu den ärztlichen Pflichten, auf solche Maßnahmen hinzuweisen, die der Arzt selbst nicht durchführen kann oder will, die aber zur Sicherstellung des Erfolges der Vorsorgeuntersuchung vom ärztlichen Standard aus als empfehlenswert oder gar als notwendig angesehen werden.

 

b)
Im Fall des Klägers entsprach es fachärztlichem Standard, auf die Möglichkeit der Koloskopie zur Abklärung eines Darmkrebsrisikos im Rahmen einer therapeutischen (= Sicherheits-)Aufklärung hinzuweisen. Es ist in zweiter Instanz nicht mehr streitig, dass die Untersuchungen durch den Beklagten jedenfalls auch gezielt der Krebsvorsorge dienen sollten. Dies hat der Beklagte im Rahmen seiner Anhörung vor der Kammer ausdrücklich eingeräumt und es entspricht auch zumindest indirekt den Angaben seiner Dokumentation, die entweder Untersuchungen beinhalten, welche automatisch der Krebsvorsorge dienen (Abtasten der Prostata), oder die Einholung von Informationen zu Krebserkrankungen von Familienmitgliedern (Darmkrebs der Mutter). Dass jedenfalls dann, wenn eine Krebsvorsorge ausdrücklich zumindest auch Gegenstand des Behandlungsvertrages ist (ob dies anders zu beurteilen ist, wenn „nur“ ein allgemeiner Gesundheitscheck durchgeführt werden soll, lässt der Senat offen), die Frage einer Koloskopie mit einem Patienten wie dem Kläger zu erörtern ist, unabhängig davon, ob der Beklagte sie selbst hätte durchführen können oder nicht, folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. I in einer auch den Senat uneingeschränkt überzeugenden Weise. Der Sachverständige verfügt als Chefarzt einer Klinik für allgemeine innere Medizin eines Krankenhauses, das als Lehrkrankenhauses der Universität E dient, ohne Zweifel über die notwendige Sachkunde auch zur Beurteilung der Maßstäbe, die für einen niedergelassenen Arzt gelten, zumal nicht anzunehmen ist, dass in Fragen einer solchen therapeutischen Aufklärung zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstufen verschiedene Sorgfaltsmaßstäbe existieren. Er hat sein Gutachten unter Berücksichtigung aller relevanten Anknüpfungstatsachen erstellt, insbesondere die den Kläger betreffenden Krankenunterlagen sorgfältig und erschöpfend ausgewertet, und er hat seine Ergebnisse in sehr differenzierter und ausführlicher Weise überzeugend begründet. Denn er hat ausgeführt, dass nach der zum Behandlungszeitpunkt existierenden Leitlinien für kolorektale Karzinome, einer S3-Leitlinie, das heißt einer solchen, die ein besonders hohes Maß an wissenschaftlicher Absicherung aufweist, unter den Untersuchungsverfahren zur Darmkrebsvorsorge die komplette Koloskopie aufgrund der höchsten Sensitivität und Spezifität für das Auffinden eines kolorektalen Karzinoms und von Adenomen als das Standardverfahren (Goldstandard) empfohlen werde (S. 5/6 des Gutachtens, Bl.213 f d.A.). Für Risikogruppen, zu denen der Kläger aufgrund der Erkrankung seiner Mutter mit einem 2-3-fach erhöhten Risiko zähle, werde eine frühzeitige Vorsorgekoloskopie empfohlen und zwar spätestens im Alter von 50 Jahren. Eine Beratung über die Screeningmethoden sei danach unerlässlich.

 

Ohne Erfolg wendet der Kläger hiergegen im Rahmen der Berufung ein, dies stimme nicht mit der Praxis der niedergelassenen Ärzte überein, wonach „nach neuesten Erhebungen“ 95% der Ärzte im Hinblick auf die damit verbundenen Risiken diese Untersuchung nicht vornähmen. Woher der Beklagte diese Erkenntnis nimmt, wird nicht deutlich. Eine derart ungenaue (und im Übrigen auch wenig glaubhafte) pauschale Aussage kann nicht sinnvoller Gegenstand eines Vorhalts an den Sachverständigen sein, der unter Hinweis auf eine S3-Leitlinie zu einem diametral anderen Ergebnis kommt. Dass der Inhalt der Leitlinie falsch wiedergegeben wurde, behauptet der Beklagte selbst nicht. Ebenso wenig kann er darlegen, dass der Inhalt der Leitlinie den zum Behandlungszeitpunkt maßgeblichen Standard nicht abbilde, sondern fachlich etwa veraltet und obsolet sei. Seine Behauptung gipfelt letztlich darin, dass 95% aller Ärzte den medizinischen Standard nicht beachten würden, was für die rechtliche Bewertung ohne Bedeutung ist. Im übrigen lässt dieser Einwand nicht erkennen, dass der Beklagte wirklich die Frage der therapeutischen Aufklärung im Blick hat (und nicht nur die Frage, ob ein Arzt sich die Durchführung der Koloskopie selbst zutraut), und dass er dies auch auf den hier ganz wesentlichen Gesichtspunkt bezieht, dass ein Patient einer besonderen Risikogruppe angehört.

 

Ohne Erfolg greift der Beklagte ferner die Annahme des Sachverständigen an, der Kläger gehöre wegen familiärer Vorbelastung einer Risikogruppe an, dies mit der Erwägung, die Mutter des Klägers sei bei ihrer Erkrankung bereits über 80 Jahre alt gewesen. Für die Frage familiärer Vorbelastung ist nicht das Alter maßgebend, in dem jemand erkrankt, sondern die genetische Veranlagung. Einen Beleg für die Behauptung, diese Veranlagung sei nicht anzunehmen, wenn ein naher Angehöriger seinerseits erst in höherem Alter an Krebs erkranke, bietet der Beklagte nicht. Er stellt seine Behauptung damit neben die des Sachverständigen, was keinen Anlass gibt, das Gutachten des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen.

 

c)
Inhalt dieser Verpflichtung wäre es nicht nur gewesen, den Patienten abstrakt auf die Möglichkeit einer Koloskopie zum frühzeitigen Erkennen eines Darmkrebses hinzuweisen, denn eine solche Information, die den meisten Patienten ohnehin bekannt sein dürfte, entspricht dem Bedürfnis des Patienten nicht. Erforderlich ist vielmehr eine auf den Patienten und seine konkrete Situation bezogene Erläuterung der Chancen und der Risiken, falls die Maßnahme unterbleibt. Dass eine Sicherheitsaufklärung aber so klar und eindeutig sein muss, dass der Patient ein objektives und zutreffendes Bild erhält, was ihm droht, wenn er dem Hinweis nicht folgt, hat der Senat wiederholt entschieden (OLG Köln, Urteil vom 22.9.2010, 5 U 211/08, VersR 2011, 760 ff; Urteil vom 6.6.2012, 5 U 28/10, VersR 2013, 237 ff.). Dies gilt auch für reine Vorsorgemaßnahmen. Insofern war der Kläger jedenfalls darauf hinzuweisen, dass er einer Risikogruppe angehört, für die ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko bestand, und er war darauf hinzuweisen, dass für ihn nach den geltenden Leitlinien schon seit seinem fünfzigsten Lebensjahr, also schon seit mindestens sechs Jahren, eine Koloskopie empfohlen wurde.

 

Eine derart verstandene therapeutische Aufklärung hat der Beklagte schon nach seinem eigenen Vorbringen nicht geleistet. Er hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nur angegeben, den Kläger im Zusammenhang mit der sonographischen Untersuchung darauf angesprochen zu haben, dass dadurch Darmerkrankungen nicht erkennbar seien und dass deshalb eine Koloskopie sinnvoll sei, er habe aber weder eine Überweisung ausgestellt noch einen Arzt empfohlen. Zwischen einem derartigen allgemeinen Hinweis und einer den Leitlinien entsprechenden deutlichen Empfehlung im Hinblick auf das bei dem Kläger erhöhte Risiko bestehen aber wesentliche Unterschiede.

 

d)
Allerdings geht der Senat ebenso wie die Kammer davon aus, dass nicht einmal ein solch allgemein gehaltener Hinweis festgestellt werden kann und dass dies zu Lasten des Beklagten geht. Die Dokumentation des Beklagten enthält keinerlei Hinweis darauf, dass eine Koloskopie Gegenstand der Erörterungen zwischen Arzt und Patient gewesen ist. Damit ist – wie es allgemeiner Auffassung entspricht – zu unterstellen, dass die nicht dokumentierte Maßnahme auch nicht stattgefunden hat. Eine Dokumentationspflicht als Grundvoraussetzung für die tatsächliche Vermutung des Unterbleibens der Maßnahme hat die Kammer auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen zu Recht angenommen. Der Sachverständige hat im Rahmen der mündlichen Erörterungen vor der Kammer, wo diese Frage intensiv thematisiert wurde, ausgeführt, dass sowohl die Empfehlung zur Koloskopie als auch deren Ablehnung durch den Patienten aus medizinischer Sicht dokumentationspflichtig sei. Es sei für einen Nachbehandler wichtig, damit er gegebenenfalls wisse, ob er das Thema noch einmal ansprechen müsse. Eine Koloskopie, die negativ ausfalle, müsse erst nach zehn Jahren wiederholt werden, ein negativer Hämokulttest demgegenüber jedes Jahr. Diese Ausführungen überzeugen auch den Senat und sie tragen auch aus rechtlicher Sicht die Annahme einer Dokumentationspflicht. Dokumentation darf nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur medizinisch motiviert sein, sie dient nicht juristischen Zwecken (BGH NJW 1999, 3408 m.w.N.) Zwingend zu dokumentieren ist, wenn ein Patient einen auf eine Sicherheitsaufklärung erfolgten Rat des Arztes ablehnt (BGH NJW 1987, 1482; BGH MDR 1997, 940; Martis-Winkardt, Arzthaftungsrecht 4. Aufl. Rn 239 ff. m.z.w.N.), was nach der umstrittenen Behauptung des Beklagten aber nicht der Fall gewesen sein soll (allerdings erscheint diese Darstellung als nicht widerspruchsfrei, wenn andererseits der Beklagte vorträgt, er könne sich an die Reaktion des Klägers auf seinen Hinweis nicht mehr erinnern). Zu dokumentieren ist ferner alles, was ein Arzt selbst für die weitere Behandlung und für einen etwaigen Nachbehandler (etwa Urlaubsvertreter) wissen muss. Das können durchaus auch Sicherheitshinweise sein (etwa OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 258). Insofern ist die Auskunft des Sachverständigen plausibel und insgesamt überzeugend. Wenn der Hinweis auf die Koloskopie als standardmäßige Empfehlung zu gelten hat, so dass der Sachverständige letztlich in ihrem Unterlassen sogar einen groben Fehler bejaht, leuchtet es ein, dass es sich auch um eine dokumentationspflichtige Maßnahme handelt. Der erteilte Hinweis bzw. die für Risikopatienten sogar ausdrücklich auszusprechende Empfehlung können eben nicht ohne weiteres auf sich beruhen, sondern ziehen weitere Konsequenzen nach sich, insbesondere eine Nachfragepflicht beim nächsten Besuch, gerade wenn der Patient zuvor den Eindruck hinterlassen hat, über die Thematik erst noch einmal nachdenken zu müssen. Lehnt der Patient dann den Eingriff ab, weil er ihm zu risikoreich oder zu lästig ist, wäre dies wiederum zwingend dokumentationsbedürftig. Folgt er dem Rat, hat dies gegebenenfalls weitere Konsequenzen (Überweisung) zur Folge. Ist der Rat zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten oder der Patient gänzlich unentschlossen, muss er ggf. ein weiteres Mal aufgeklärt werden. Dafür ist die Dokumentation dann tatsächlich rein medizinisch notwendig. Der Beklagte, der die Dokumentationspflicht auch in der Berufung weiter bestreitet, bringt seinerseits keine weitergehenden Argumente als seine Zweifel, ob die Koloskopie als Maßnahme überhaupt sinnvoll ist. Das indes hat mit der Frage der Dokumentationspflicht nichts zu tun. Es spricht im Übrigen für sich, dass der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vorgetragen hat, er dokumentiere tatsächlich üblicherweise einen Hinweis auf eine Koloskopie, habe es nur im Falle des Kläger offensichtlich vergessen. Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass auch der Beklagte diesen Hinweis zumindest seinerzeit für dokumentationspflichtig gehalten hat.

 

Die Folge der unterlassenen Dokumentation und der daraus resultierenden Vermutung, dass die Maßnahme unterblieb, ist die Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Behandlungsfehlervorwurfes. Den Beweis, dass der behauptete Hinweis tatsächlich erteilt wurde, hat der Beklagte nicht erbracht. Seiner Aussage im Rahmen der informatorischen Befragung kommt angesichts der diametral gegenläufigen Darstellung seitens des Klägers kein derart höheres Gewicht zu, dass sich darauf die Überzeugungsbildung des Gerichtes stützen ließe. Auch für eine förmliche Parteivernehmung nach § 448 ZPO bietet die (wie gezeigt ohnehin nicht widerspruchsfreie und dem Standard entsprechende) Darstellung keine hinreichende Grundlage.

 

e)
Die Hinweispflicht des Beklagten entfiel nicht deshalb, weil der Kläger bereits hinreichend über alle aufklärungspflichtigen Umstände aufgeklärt gewesen wäre. Soweit der Beklagte von fehlender Aufklärungsbedürftigkeit ausgeht unter Hinweis auf den Umstand, dass der Kläger anderthalb Jahre später tatsächlich in der Uniklinik Aachen eine Koloskopie durchführen ließ (was, wie er meint, wiederum nur bedeuten könne, dass er selbst den Hinweis gegeben haben müsse), geht diese Argumentation an der Sache vorbei. Es geht nicht um die Frage, ob jeder durchschnittlich gebildete Mensch weiß, dass es eine Darmspiegelung gibt und was sie in etwa bedeutet, sondern um die Frage, ob sie für den Kläger in seiner konkreten Situation eine sinnvolle und aus ärztlicher Sicht empfehlenswerte Maßnahme darstellte, oder ob er – wie tatsächlich suggeriert – der Ansicht sein durfte, ein Hämokulttest schließe sicher die Krebsgefahr aus. Insofern ist die Annahme auch in keiner Weise zwingend, dass der Kläger durch den Beklagten hinreichend über die Koloskopie als Krebsvorsorgemaßnahme unterrichtet gewesen sei, weil er sich aus eigenem Antrieb anderthalb Jahre später dieser Untersuchung unterzogen habe.

 

2.
Zugunsten des Klägers ist davon auszugehen, dass eine ordnungsgemäße therapeutische Aufklärung des Klägers den gesamten weiteren Krankheitsverlauf verhindert hätte. Allerdings ist es ungewiss, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung die Entstehung oder die weitere Entwicklung der Darmkrebserkrankung sicher verhindert hätte. Es ist nicht einmal sicher, dass der Kläger der leitliniengerechten Empfehlung tatsächlich gefolgt wäre und eine Koloskopie zeitnah hätte durchführen lassen (ob insoweit die Vermutung gilt, dass ein Patient sich aufklärungspflichtig verhält, lässt der Senat ausdrücklich offen). Darauf kommt es jedoch nicht an, denn diese Zweifel gehen zu Lasten des Beklagten, da dem Beklagten ein grobes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, das zur Beweislastumkehr führt, und da er nicht den Nachweis führen kann, dass den Kläger auch bei richtiger Aufklärung dieselben gesundheitlichen Folgen getroffen hätten. Auch insoweit folgt der Senat dem landgerichtlichen Urteil.

 

a)
Die Kammer hat einen groben Fehler auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. zu Recht bejaht. Dabei steht dem Senat durchaus vor Augen, dass eine Koloskopie eine Maßnahme ist, die viele Menschen scheuen und die nicht ganz unerhebliche Risiken birgt, die bei sozialversicherten Patienten, die keiner Risikogruppe angehören, als Vorsorgemaßnahme nur insgesamt zweimal im Leben bezahlt wird, die also keine blanke Selbstverständlichkeit für einen Patienten ist. Es mag auch zutreffen, dass nicht wenige Ärzte einer Koloskopie als reiner Vorsorgemaßnahme eher skeptisch gegenüber stehen und sie ihren Patienten nicht unmittelbar empfehlen. Allerdings stellt dies keine durchgreifenden Bedenken dar, die aus rechtlicher Sicht die Annahme eines groben Fehlers hindern. Ein grober Fehler liegt nach der gängigen Definition vor, wenn der Behandler in eindeutiger Weise gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt, und dadurch einen Fehler begeht, der aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Es handelt sich bei der Empfehlung zur Koloskopie um eine eindeutige Anweisung einer Leitlinie, die einen bewährten Standard abbildet. Dies wird einmal mehr deutlich in der Tatsache, dass es sich um eine S3-Leitlinie handelt, also eine solche, die den höchstmöglichen Grad wissenschaftlicher Absicherung aufweist. Zur Früherkennung von Darmkrebs ist eine Koloskopie nicht nur überaus geeignet, sondern – so der Sachverständige – praktisch alternativlos, denn andere Methoden (insbesondere der bloße Hämokulttest) weisen eine erhebliche Ungenauigkeit auf. Die Alternative besteht also nur darin, das Risiko der Nichterkennung eines sich entwickelnden Krebses zu tragen. Damit sind die Elemente des eindeutigen Verstoßes und des Verstoßes gegen bewährte Grundsätze ohne weiteres zu bejahen.

 

Gleiches gilt aber auch für das Element der Unverständlichkeit aus objektiver medizinischer Sicht. Ob und welche Maßnahmen ein Patient wahrnehmen möchte zur Krebsfrüherkennung ist eine Entscheidung von existentieller Tragweite, die der Arzt unter keinen Umständen für den Patienten treffen darf. Dies gilt insbesondere und hier ganz entscheidend für einen Patienten, der einer Risikogruppe angehört, weil er familiär vorbelastet ist. Wenn ein Arzt dem Patienten die für seine Entscheidung wesentlichen Informationen vorenthält, ihn insbesondere nicht darüber informiert, dass er einer Risikogruppe angehört und dass hierfür eine klare und eindeutige Empfehlung zur Koloskopie gilt, ist dies aus medizinischer Sicht nicht zu verstehen. Es gibt keine Gründe, die das Nichtinformieren als noch medizinisch verständlich erscheinen lassen. Es liegt kein schwieriger Abwägungsprozess vor, keine komplexe fehlerträchtige Situation, bei der eine letztlich falsche Entscheidung noch nachvollziehbar ist. Weder der Beklagte noch der Sachverständige zeigen irgendwelche Umstände auf, die das Unterlassen einer derart einfachen und unaufwändigen Empfehlung als verständlich erscheinen lassen. Vielmehr zieht sich der Beklagte ausschließlich auf Erwägungen zurück, die die Berechtigung der Empfehlung betreffen oder die Gründe, die ein Patient in seinen Abwägungsprozess einbeziehen mag, nämlich die Risiken der Koloskopie. Das aber darf ihn – wie gezeigt – nicht hindern, den Patienten aufzuklären. Der Umstand, dass der Beklagte den Kläger ansonsten ordnungsgemäß untersucht hat und dass aus dieser Untersuchung über die familiäre Vorbelastung hinaus keine weiteren konkreten Hinweise resultierten, die eine Koloskopie nahelegten, lässt das Unterlassen des Hinweises ebenfalls nicht als aus objektiver medizinischer Sicht verständlich erscheinen. Dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten zunächst nur von einem einfachen Fehler ausgegangen ist und erst im Rahmen der mündlichen Anhörung einen groben Fehler bejaht hat (dies dann aber sehr deutlich), hindert schließlich die Überzeugungsbildung ebenfalls nicht, gibt dem Senat insbesondere keinen Anlass, einen anderen Sachverständigen nach seiner Meinung zu fragen. Dass ein Sachverständiger nach intensiver Diskussion und ersichtlich gründlichem weiteren Durchdenken der Kriterien des groben Fehlers sich letztlich umentscheidet (was im Hinblick auf die Scheu der meisten Sachverständigen, einen groben Fehler überhaupt als solchen deutlich anzusprechen, wahrlich selten ist), stärkt das Gewicht seiner Ausführungen eher als dass es sie schwächt. Die spätere Einschätzung beruht auf gründlicherer gedanklicher Durchdringung und nicht zuletzt auf der Klarstellung eines für den Sachverständigen wichtigen Umstandes, nämlich der Erkenntnis, dass die Untersuchung vom 15.5.2009 ganz wesentlich der Krebsvorsorge und nicht anderen Zwecken diente.

 

b)
Den Gegenbeweis, nämlich die äußerste Unwahrscheinlichkeit, dass der Kläger gesund aus der Sache heraus gekommen wäre, hätte der Beklagte ihn am 15.5.2009 ordnungsgemäß über eine Koloskopie aufgeklärt, kann der Beklagte nicht führen. Aus den Ausführungen des Sachverständigen folgt, dass schon nicht sicher davon ausgegangen werden könne, ob damals überhaupt das Stadium der Bösartigkeit schon erreicht worden sei, so dass nicht einmal klar ist, ob der Kläger überhaupt hätte operiert werden müssen. Ob das Leiden sich noch in einem Stadium der Gutartigkeit befunden hätte, könne man rückblickend nicht beantworten. Falls ein bösartiger Befall vorgelegen hätte, wäre der betreffende Darmabschnitt entfernt worden. Je nach Größe des Tumors hätten die Heilungschancen dann bei über 90% gelegen. Zu der mutmaßlichen Größe des Tumors könne man aber rückblickend heute auch nichts Weiteres sagen. Aus der Tatsache, dass der Hämokulttest negativ war, könne man nur rückschließen, dass sich eine Krebserkrankung jedenfalls noch in einem frühen Stadium befunden habe. Auszugehen ist damit insgesamt von einer für den Kläger denkbar günstigen Situation, nämlich einer Heilung ohne nennenswerte Behandlungen (insbesondere keine Chemotherapie) und ohne Metastasen. Eine weitere Abklärung der Kausalitätsfrage ist nicht veranlasst.

 

Die Ungewissheiten bei der Vorfrage, ob der Kläger tatsächlich der leitliniengerechten Empfehlung gefolgt wäre, gehen ebenfalls zu Lasten des Beklagten. Der Gegenbeweis kann ihm nicht gelingen. Der Umstand, dass der Kläger anderthalb Jahre später ohne weiteres eine Koloskopie hat durchführen lassen, um bloße Blähungen abklären zu lassen, spricht im Gegenteil sogar deutlich eher dafür, dass er erst recht keine Bedenken gehabt hätte, wenn es um die notwendige Abklärung im Hinblick auf eine bestehende Krebsgefahr ging.

 

3.
Folge des dem Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlers ist, dass er verpflichtet ist, dem Kläger den materiellen und immateriellen Schaden, der auf dem Fehler zumindest mit beruht, zu ersetzen.

 

a)
Im Hinblick auf die mit der Klage geltend gemachten Behandlungskosten in Höhe von6.459,01 EUR greift der Beklagte das Urteil der Kammer nicht an. Insofern kann auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden.

 

Soweit der Kläger im Rahmen seiner Anschlussberufung klageerweiternd weitere Behandlungskosten in Höhe von 1811,79 EUR geltend macht, ist dies prozessual zulässig. Der Anspruch, der sich auf erstattungsfähige Kosten bezieht und in kausalem Zusammenhang steht zu der Krebserkrankung, ist auch der Sache nach begründet. Konkrete Einwendungen hiergegen hat der Beklagte nicht erhoben.

 

b)
Den Schmerzensgeldanspruch, der sich auf alle bekannten sowie alle voraussehbaren zukünftigen Beeinträchtigungen des Klägers bezieht, bemisst der Senat mit insgesamt 150.000.- EUR. Dabei nimmt der Senat auch hier im Wesentlichen Bezug auf die Erwägungen der Kammer. Maßgebend für die Bemessung des Betrages, der als angemessener Ausgleich und als notwendige Genugtuung für die erlittenen Leiden, Beschwerden und Beeinträchtigungen des Klägers anzusehen ist, ist die Krebserkrankung in ihrem gesamten Verlauf mit allen Weiterungen und Komplikationen, insbesondere der notwendigen Erstoperation zur Entfernung des betroffenen Darmabschnittes und aller Folgeoperationen, die infolge der Metastasenbildung die (wiederholte) Entfernung wesentlicher Teile von Lunge und Leber mit sich brachten, sowie der Nachbehandlung durch stark beeinträchtigende Therapien (Chemo). Dies alles hat zu ganz erheblichen Schmerzen, Leiden, Beschwerden, zu anhaltenden und irreversiblen körperlichen Beeinträchtigungen und vor allem zu ganz enormen psychischen Belastungen geführt, die durch das immer wieder neu aufflackernde Krankheitsgeschehen, die dadurch hervorgerufenen Enttäuschungen und die stets nahe Todesangst gekennzeichnet sind. Zu berücksichtigen ist ferner in erheblichem Maße, dass der Kläger sowohl die Fähigkeit verloren hat, seinen Beruf auszuüben als auch die sein Leben prägenden Freizeitgestaltungen. All dies hat die Kammer zu Recht und auch hinsichtlich der Höhe grundsätzlich angemessen berücksichtigt. Soweit die Kammer die Entfernung des befallenen Darmabschnittes als nicht zu vermeidende Ohnehin-Beeinträchtigung unberücksichtigt gelassen hat, war dem allerdings nicht zu folgen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass sich im Frühjahr 2009 noch eine Situation dargestellt hätte, die als prinzipiell gutartig anzusehen gewesen wäre und die eine Entfernung des Darms nicht als notwendig hätte erscheinen lassen müssen.

 

Das gegenüber dem landgerichtlichen Urteil um 50.000.- EUR höhere Schmerzensgeld ist aufgrund der weiteren (negativen) gesundheitlichen Entwicklung des Klägers seit der Klageerhebung als auch nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils gerechtfertigt. Damit berücksichtigt werden die weitere körperliche Verschlechterung des Klägers und die erneute Operation mit der Entfernung weiterer Teile von Leber und Gallengängen, die durch Vorlage weiterer Behandlungsunterlagen belegt und durch den Beklagten nicht konkret angegriffen sind. Ein wesentlich höheres Schmerzensgeld, wie es dem Kläger nunmehr in einer Größenordnung von insgesamt 250.000.- EUR vorschwebt, ist hingegen nicht angemessen. Das Ausmaß der Beeinträchtigungen kann nur sehr begrenzt verglichen werden mit demjenigen gänzlich anders gelagerter Fälle. Um einen solchen anders gelagerten Fall handelt es sich bei der Entscheidung des OLG Hamm vom 18.6.2013, auf die der Kläger sich nunmehr beruft. Die Beeinträchtigungen, die einem Schmerzensgeldbetrag in der von dem Kläger nunmehr geltend gemachten Höhe üblicherweise zugrunde liegen, sind deutlich höher zu veranschlagen. Zu berücksichtigen ist, dass dem Kläger, ohne den dramatischen Verlust seiner Lebensqualität zu verkennen, doch in weitaus höherem Maße Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben verbleiben, die anderen Menschen verschlossen sind.

 

4.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

 

Berufungsstreitwert:

 

für die Berufung des Klägers: 151.811.- EUR

 

für die Berufung der Beklagten: 206.459.- EUR

 

gesamt: 358.270.- EUR

 

(wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, war der Streitwert für den Feststellungsantrag im Hinblick auf die nicht unbeträchtlichen im Raum stehenden materiellen Schäden, insbesondere Verdienstausfall, mit 100.000.- EUR zu bewerten).

 

 

Quelle: Entscheidungsdatenbank NRW