LG Köln: Durchtrennung des Leberhauptgallenganges wegen unterlassener notwendiger Befunderhebung

Die Durchtrennung des Gallengangs müsse als eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln gewertet werden, weil ausweislich des Operationsberichtes in einer offensichtlich unübersichtlichen Situation eine Struktur ohne eindeutige Identifizierung durchtrennt worden sei.

 

 

LG Köln
Urteil v. 11.04.2007 – 25 O 93/05

 

 

Tenor

 

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 40.000,- nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins-satz seit dem 26. Februar 2005 zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und alle weiteren immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Operation vom 18. Dezember 1997 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin, nimmt die Beklagte als Trägerin des St. Josef Krankenhauses in X wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

 

Die am 01.01.1966 geborene, gesetzlich krankenversicherte Klägerin, verheiratet und Mutter zweier Kinder (Tochter Seher, *20.05.1986; Sohn Mevlüt, *11.05.1990), litt spätestens ab 1994 immer wieder an krampfhaften Schmerzen im Oberbauch. Sie begab sich am 17.12.1997 in das Krankenhaus X der Beklagten, da sie unter persistierenden Oberbauchschmerzen litt. In dem Krankenhaus lagen zahlreiche Befunde früherer Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen vor. Am 18.12.1997 erfolgte eine Operation zur Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie) durch Dr. I. Dabei schnitt er in den Leberhauptgallengang, den er für die Gallenblase hielt. Sodann erkannte er, dass bei der Klägerin keine Gallenblase angelegt ist (sog. Agenesie). Die Operation wurde nach Zuziehung des Chefarztes Dr. C auf eine Laparotomie, durchgeführt mittels Rippenbogengrandschnitt, erweitert und die Verletzung des Leberhauptgallengangs vernäht. In der Folgezeit litt die Klägerin an Gelbsucht und befand sich wegen Cholangitiden mehrfach in stationärer Behandlung; im Jahr 1998 erfolgte im Klinikum X2 eine Jejunostomie.

 

Die Beklagte zahlte vorgerichtlich an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 2.045,17 (= DM 4.000,).

 

Die Klägerin behauptet, die behandelnden Ärzte hätten präoperativ fehlerhaft nicht erkannt, dass bei ihr eine Agenesie vorlag. Die Operation sei schon nicht indiziert gewesen. Dr. I habe intraoperativ den linken Gallenblasengang mit der Gallenblase verwechselt und diesen zur Leber präpariert. Dabei sei der linke Gallenblasengang im Bereich der Zusammenmündung mit dem rechten Gallenblasengang abgetrennt worden. Intraoperativ sei es zu einem Hepaticuseinriss gekommen und zu einer akzidentiellen Verletzung des Leberhauptgallengangs. Die Klägerin ist der Ansicht, diese Behandlungsfehler seien als grob fehlerhaft zu bewerten.

 

Zu den Folgen behauptet die Klägerin, deshalb sei es zu narbig schrumpfenden Einengungen an den Einmündungen des linken Gallengangs und an der Insertionsstelle der T-Drainage gekommen. Infolge des Behandlungsfehlers sei im September 1998 zu einer Gelbsucht (cholestatischer Ikterus) aufgetreten. Deshalb habe bei einer Behandlung im Klinikum X2 vom 02.10.1998 bis 19.10.1998 am 05.10.1998 eine Hepaticojejunostomie mit einer Y-Roux ausgestalteten Dünndarmschlinge durchgeführt werden müssen. Anschließend zunächst beschwerdefrei sei es ab 1999 und verstärkt ab 2000 wieder zu anhaltenden, intensiven Bauchattacken gekommen. Es träten bis heute Zustände mit teils kolikartigem, teils dumpfem Druckgefühl, manchmal mit Erbrechen und hohem Fieber auf. Seit 1998 sei sie allein bis zur Fertigung der Klageschrift 13-mal in Folge der Fehlbehandlung stationär im Krankenhaus gewesen, darunter mehrfach in der Klinik der Beklagten. Es bestehe infolge des Behandlungsfehlers die Gefahr eines dauerhaften Leberschadens und einer erhöhten Morbidität. Seit der Behandlung durch die Mitarbeiter der Beklagten sei die Klägerin erwerbsunfähig erkrankt.

 

Die Klägerin beantragt,

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch € 100.000,-, abzüglich gezahlter € 2.045,17 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Februar 2005 zu zahlen;

 

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden – letztere, soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen – aus der fehlerhaften Operation vom 18. Dezember 1997 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte tritt dem Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers entgegen. Sie behauptet, bereits vor der Operation habe eine krankhafte Veränderung der Gallenwege vorgelegen, die für den heutigen Zustand ursächlich sei. Es fehle an der Kausalität des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten für die bei der Klägerin eingetretene Gesundheitsbeeinträchtigung. Denn der linke Gallenblasengang sei sofort wieder genäht worden. Wenn es deshalb zu einer krankhaften narbig schrumpfenden Verengung nahe der Einmündung des Hauptgallengangs in das Doudenum gekommen sei, hätte dies mit den von der Klägerin geklagten Beschwerden nichts zu tun; sie seien möglicherweise schicksalhafte Folge einer bereits zuvor bestehenden Störung im Bereich des Gallenabflusses.

 

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 23. November 2005, Blatt 66 bis 68 der Akten. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen PD Dr. med. L, Chefarzt der Klinik für Viszeral-, Gefäß und Thoraxchirurgie des Medizinischen Zentrum des Kreises B in X3, vom 10. Mai 2006, Blatt 86 bis 103 der Akten, Bezug genommen. Für das Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2007 Bezug genommen.

 

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1. in Höhe von € 40.000,- nebst Zinsen und hinsichtlich des Feststellungsantrags begründet.

 

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz der materiellen Schäden §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB. Denn die Beweisaufnahme hat eine Abweichung der Behandlung der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten vom medizinischen Standard ergeben.

 

Zur Frage des Behandlungsfehlers hat der Sachverständige nach ausführlicher Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Behandlungsunterlagen und Darstellung der Behandlungsgeschichte ausgeführt, allerdings sei im vorliegenden Fall die Operation vom 18. Dezember 1997 (Cholezystektomie) grundsätzlich indiziert gewesen. Denn das Vorliegen einer Gallenblasenagenesie sei überaus selten und liege nur bei bis zu 0,07 Prozent der Menschen vor. Zudem sei diese Besonderheit nur sehr schwierig zu diagnostizieren; nur in den seltensten Fällen bei einem fehlenden präoperativen Nachweis einer Gallenblase durch bildgebende Verfahren liege tatsächlich eine Gallenblasenagenesie vor. Deshalb könne auch im vorliegenden Fall trotz der vorangegangenen Untersuchungen an der Indikation zur Operation kein Zweifel bestehen. Denn das Fehlen der Gallenblase sei vor der Operation nicht mit ausreichender Sicherheit erkennbar gewesen.

 

Die Operation vom 18. Dezember 1997 sei allerdings nicht entsprechend den Regeln der Kunst durchgeführt worden. Bei einem fehlenden Nachweis einer Gallenblase hätte die diagnostische Laparoskopie abgebrochen werden müssen. Alternativ wäre es möglich gewesen, angesichts der offensichtlich unübersichtlichen Situation des Operationsgebietes die Operation auf eine Laparotomie umzustellen, um eine eindeutige Beurteilung des anatomischen Befundes zu ermöglichen. Wenn stattdessen in der Operation eine nicht eindeutig identifizierte Struktur in einer anatomisch unübersichtlichen Situation durchtrennt worden sei, müsse dies als fehlerhaft bewertet werden. Weil die gebotene Darstellung des zu durchtrennenden Gewebes nicht erfolgt sei, habe es bei der Klägerin zu einer Durchtrennung des Ductus Hepaticus sinister kommen können. Diese sei in der Operation zwar korrekt über eine T-Drainage versorgt worden. Dieses Vorgehen habe aber an der Nahtstelle bzw. der Austrittsstelle der T-Drainage aus dem Hauptgallengang zu narbigen Stenosen mit einer Behinderung des Gallenabflusses geführt.

 

Zur Frage der Schwere des Behandlungsfehlers hat der Sachverständige ausgeführt, die Durchtrennung des Gallengangs müsse als eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln gewertet werden, weil ausweislich des Operationsberichtes in einer offensichtlich unübersichtlichen Situation eine Struktur ohne eindeutige Identifizierung durchtrennt worden sei.

 

Zu den Folgen des Behandlungsfehlers hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, infolge der notwendig gewordenen Durchführung einer Rekonstruktion des Gallenganges sei der stationäre Aufenthalt gegenüber einer komplikationslosen diagnostischen Laparoskopie um etwa drei Wochen verlängert worden. Auch alle weiteren Krankenhausaufenthalte, insbesondere die erneute Operation vom 5. Oktober 1998 mit der Hepatico-Jejunostomie seien schicksalhafte Folge der initial fehlerhaften Durchtrennung des Gallengangs. Als deren Folge seien bereits mehrfach Cholangitiden bei der Klägerin aufgetreten. Zudem bestehe die Gefahr einer erneuten narbigen Einengung der Anastomose mit nachfolgendem Gallenaufstau in der Leber. Diese könnten im Laufe der Zeit zu einer Veränderung im Sinne einer biliären Zirrhose führen, in seltenen Fällen durch eine Störung der Leberfunktion zur Entwicklung eines Lebertumors. Möglich sei schließlich das Auftreten von Verwachsungsbeschwerden im weiteren Verlauf bis hin zur Ausbildung eines Ileus.

 

Die Kammer nimmt auf diese nachvollziehbaren Darstellungen der Sachverständigen Bezug und macht sie sich zu Eigen. Danach hat die Klägerin aufgrund eines elementaren Verstoßes gegen grundlegende Regeln der Operationstechnik, nämlich Durchtrennung einer nicht ausreichend identifizierten Gewebestruktur im Bauchraum bei einem als unübersichtlich erkannten Operationsgebiet, einen vermeidbaren Gesundheitsschaden erlitten. Die differenzierten und sorgfältigen Ausführungen des Sachverständigen, der als langjähriger Oberarzt einer großen Universitätsklinik und leitendem Arzt der Viszeralchirurgie an einem akademischen Lehrkrankenhaus als besonders praktisch und wissenschaftlich erfahren ausgewiesen ist, sind in sich nachvollziehbar und auch unter Berücksichtigung der in der mündlichen Anhörung gegebenen weiteren Erläuterung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, überzeugend. Sie entsprechen überdies auch der Rechtsprechung bekannten medizinischen Regeln: Sind bei einer endoskopischen Gallenblasenentfernung die vorhandenen organischen Strukturen nicht sicher voneinander zu unterscheiden, muss der verantwortliche Chirurg zu einem offenen Bauchschnitt übergehen, um den zu durchtrennenden ductus cysticus mit der notwendigen Zuverlässigkeit zu identifizieren (OLG Köln, Urt. v. 19.6.1996 – 5 U 10/96, NJWE-VHR 1997, 66-68; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.1998 – 8 U 139/97, VersR 2000, 456).

 

Bei der Bemessung des Schmerzensgelds hat die Kammer ausgehend von den Erkenntnissen des Sachverständigen für die Frage der Zurechnung der Folgen der fehlerhaften Behandlung berücksichtigt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen das Vorgehen bei Durchtrennung des Ductus Hepaticus Sinister als schlechthin unverständlich und Verstoß gegen elementarer Behandlungsgrundsätze zu bewerten ist. Diese medizinische Bewertung des Sachverständigen ist rechtlich als grober Behandlungsfehler (vgl. dazu zuletzt BGH Urt. v. 9.01.2007 – VI ZR 59/06, S. 5 f. des Urteilsumdrucks) zu bewerten mit der Folge der Beweislastumkehr für sog. Primärschäden (vgl. i.E. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. Auflage 2007, S. 498 ff. m.w.N.).

 

Nach den weiteren überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zu den Folgen in der mündlichen Anhörung erscheint aus medizinischer Sicht als Folge der Verletzung des Ductus Hepaticus Sinister die Operationserweiterung auf eine Laparotomie mit einer Verlängerung der stationären Behandlung um 3 Wochen, sowie als Folge der Vernähung der Läsion die Stenose des Gallenganges mit der Vernarbung, in deren Folge durch den Rückstau der Gallenflüssigkeit eine Gelbsucht, die den Revisionseingriff in X2 zur Resektion der Stenose erforderlich gemacht hat. Diese Hepatico-Jejunostomie hat wiederum zur Folge, dass Bakterien aus dem Darm in den Gallengang gelangen und dort Entzündungen (Cholangitiden) hervorrufen. Diese sind bei der Klägerin zahlreich aufgetreten und hatten die weiteren Krankenhausaufenthalte zur Folge. Demgegenüber sind die Beschwerden der Klägerin nicht Folge der Vorerkrankung, denn die Agenesie verläuft grundsätzlich beschwerdefrei. Allerdings lässt sich nicht feststellen, dass bei rechtzeitigem Abbruch der Cholezystektomie die zuvor bestehenden Oberbauchbeschwerden verschwunden wären.

 

Unter Abwägung dieser medizinischen Folgen und der im schriftlichen Sachverständigengutachten beschriebenen weiteren Risiken für die Klägerin in der Zukunft und der sich daraus ergebenden Einschränkungen in ihrem Leben, sowie der weiteren Gesichtspunkte, wie des Lebensalters und der sozialen Situation und des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks, erscheint unter Berücksichtigung von zu ähnlichen Fallkonstellationen ergangenen Entscheidungen (vgl. OLG Hamm, Urt. vom 15.03.2000 – 3 U 1/99 – OLGR 2000, 322; OLG Köln a.a.O.) zum Ausgleich aller erlittenen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu prognostizierenden immateriellen Beeinträchtigungen der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren € 40.000,- als angemessen.

 

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.

 

Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Klägerin hat ein Interesse an der Feststellung, weil bei der Klägerin materielle Schäden in Folge der Fehlbehandlung bereits entstanden sind und weiter entstehen werden. Weitere immaterielle Schäden, die derzeit nicht abschließend zu beurteilen sind und bei der Schmerzensgeldbemessung noch nicht berücksichtigt werden konnten, liegen angesichts des vom Sachverständigen aufgezeigten weiteren Krankheitsverlauf nahe. Dabei ist der Feststellungsantrag hinsichtlich der immateriellen Schäden klarstellend wie im Tenor ausgesprochen ausgelegt worden, denn Gegenstand der Schmerzensgeldbemessung sind auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung absehbare Folgen, die erst nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen.

 

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 108 Abs. 1, 709 ZPO.

 

Streitwert:

 

Antrag zu 1.       € 97.954,83
Antrag zu 2.    + € 75.000,00
zusammen         € 172.954,83

 

 

Quelle: Entscheidungsdatenbank NRW